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Die Dolmetscherin
Interview mit einer Gebärdensprachdolmetscherin
Wer schonmal eine Ingolstädter Stadtratssitzung per Livestream verfolgt hat, dem ist sicherlich auch die Gebärdensprachdolmetscherin Ronja Kunze aufgefallen. Im Interview mit espresso spricht sie über ihren Beruf – und zeigt uns im Video einige Gebärden.
Ronja Kunze
Ronja, du hast schon als Kind die Gebärdensprache erlernt, wie kam es dazu?
Ich habe als 7-Jährige auf einer christlichen Freizeit ein gehörloses Mädchen kennengelernt. Da sie vom Programm nichts verstanden hatte und es damals noch nicht so ein gutes Gebärdensprachdolmetscherangebot gab, klebten wir zusammen und ich „dolmetschte“ ihr quasi die ganze Zeit, was um uns herum passierte. Später brachte sie mir das Fingeralphabet und dann einzelne Gebärden bei. Anfangs haben wir uns nur einmal im Jahr während der Freizeit getroffen, als wir älter wurden, besuchten wir uns regelmäßig. Über die Jahre lernte ich so fließend die Gebärdensprache und konnte das dann (dank ihr) sogar zu meinem Beruf machen.
Das heißt, du hast nie einen Kurs besucht?
Genau, für einen Anfängerkurs bei der VHS wusste ich zu viel. Tatsächlich habe ich nie einen ordentlichen Gebärdensprachkurs gemacht – bis zu meiner Dolmetscherausbildung. Dort habe ich gemerkt, dass das, was ich mache, zwar richtig ist, aber ich konnte nicht begründen, warum. Das musste ich in der Ausbildung lernen.
Was ist der grundlegende Unterschied bei einem gesprochenen und einem Satz in Gebärdensprache?
Der grundlegende Unterschied ist auf jeden Fall die Grammatik , die wie bei jeder anderen Fremdsprache auch auf einem eigenen grammatikalischen System aufbaut. Ganz knapp vielleicht ein Beispiel: In der Gebärdensprachgrammatik steht die Zeitangabe meist am Anfang des Satzes und das Verb immer am Schluss des Satzes. Dadurch ist zum Beispiel klar, in welcher Zeitform das Verb steht.
Als Beispiel:
Deutsch: „Ich putze die Wohnung.“
Gebärdensprache: „ICH – WOHNUNG – PUTZ“.
Natürlich ist die Sprachform auch ein Unterschied. Die Deutsche Gebärdensprache ist in „3D“ und verläuft parallel. Deutsch ist linear, alle Wörter werden hintereinander gesprochen.
Die Mund-Nasen-Maske ist Alltag geworden – sie verdeckt den Großteil unseres Gesichts. Wie wichtig ist Mimik bei der Gebärdensprache?
Durch die Mimik wird in der Gebärdensprache – ähnlich wie bei Hörenden die Stimme – angezeigt, wie das Gesagte zu verstehen ist, z.B. Stimmungen, Aufforderung vs. Frage, Betonung des Inhaltes etc. Die Mimik ist durch die Masken nun nur noch teilweise zu sehen, was zu Missverständnissen führen kann. Es ist für gehörlose Menschen dennoch nicht unmöglich, sich auch mit Mund-Nasenschutz zu verständigen. Schwierig wird das eher zwischen hörenden und gehörlosen Gesprächspartnern.
Erschweren die Masken den Alltag von gehörlosen Menschen in besonderem Maße?
Hier müsste man natürlich in erster Linie die gehörlosen Menschen selbst fragen. Natürlich ist die Kommunikation sehr eingeschränkt, auch das Dolmetschen wird schwieriger und ist in manchen Fällen eigentlich nicht möglich. Daher gibt es auch eine Verordnung, die das Abnehmen der Mund-Nasen-Bedeckung erlaubt, wenn es um Kommunikation mit gehörlosen Menschen geht.
Wie gebärdet man eigentlich das Wort “Corona”?
Eine Hand wird zur Faust gemacht, die andere Hand mit ausgestreckten Fingern kommt dahinter zum Vorschein. Scheinbar soll das die Form der Viren abbilden. (Auch im Video zu sehen, Anm.)
Wie wird festgelegt, wie ein neuer Begriff, z.B. “Corona”, gebärdet wird?
Umgangssprachlich ist für uns – die wir nicht als Mediziner oder Virologen arbeiten – das Wort „Corona“ bzw. der „Coronavirus“ ja auch neu gewesen. Ich weiß noch, dass anfangs unter Gehörlosen noch eine andere Gebärde genutzt wurde, die glaube ich aus China abgeguckt war. Später hat sich dann die oben gezeigte Gebärde hier verbreitet. Das wird oftmals auch in den sozialen Medien disktutiert, (übrigens ein stark genutztes und praktisches Austauschforum für eine Minderheit wie die Gehörlosen) und manchmal müssen sich bestimmte Gebärden auch über eine gewisse Zeit etablieren. Verbreiten können sich „neue“ Gebärden sehr schnell aufgrund der guten Vernetzung von gehörlosen Menschen.
Es gibt auch in der Gebärdensprachgemeinschaft die Diskussion um politisch korrektes Gebärden. So verändern sich bestimmte Gebärden auch mit der Zeit, genau wie wir das auch im deutschen Sprachgebrauch kennen.
Wie bei Angela Merkel. Dort entwickelte sich ihre Namensgebärde mit Fokus auf hängende Mundwinkel über ihre Frisur und schließlich zur doch schmeichelhafteren Gebärde für “merken”, weil das Wort ihrem Namen ähnelt.
Genau. Es gibt natürlich immer noch viele gehörlose Menschen, die die erste Gebärde verwenden. Im Internet gab es mal einen großen Aufruf, die Deutschland-Gebärde zu überdenken, weil diese noch auf die Pickel-Hauben zurückgeht. Es gab viele neue Ideen, etwa der Bundesadler oder die Mauer, die fällt. Das hat sich bisher aber nicht durchgesetzt.
Du bist nicht nur bei Stadtratssitzungen als Gebärdensprachdolmetscherin tätig, sondern auch bei Museumsführungen und Lesungen. Gibt es für gehörlose Menschen ein genügend großes Angebot oder besteht Verbesserungsbedarf?
Mein Tätigkeitsfeld umfasst eigentlich vor allem das Dolmetschen bei Ärzten, Ämtern, in Firmen, bei Elternabenden, Ausbildungen etc., dort sind die Kostenträger klar gesetzlich geregelt. Nur zu einem kleinen Teil arbeite ich im kulturellen Bereich wie Museumsführungen, Lesungen, Vernissagen etc. Das ist eben der Bereich, in dem sich keiner für die Dolmetscherkosten zuständig fühlt und somit die Teilhabe noch nicht barrierefrei ist. Ich glaube, Verbesserungsbedarf besteht immer.
Hörende und Nicht-Hörende kommen kaum miteinander in Kontakt. Wünschst du dir manchmal, dass Gebärdensprache in der Gesellschaft verbreiteter wäre? Gebärdensprache vielleicht sogar als Schulfach?
Natürlich wäre es schön, wenn die Gebärdensprache in der Gesellschaft verbreiteter wäre und gehörlose Menschen – vor allem zur Zeit mit den Masken – auf mehr Menschen treffen könnten, die Gebärdensprache könnten. Beim Bäcker, bei der Bank, im Geschäft, im Café… Ich denke schon, dass man das langfristig erreichen könnte durch das Angebot der Gebärdensprache als Wahlfach an Schulen. In manchen Städten gibt es das Konzept schon, z.B. in Hamburg. Hier in Ingolstadt wurde dies zwar politisch schon diskutiert, aber (noch?) nicht beschlossen.
Der Vorteil ist einfach, dass viele Schüler (und zukünftige Erwachsene) zumindest einmal den Kontakt mit Gebärdensprache oder der Gehörlosenkultur hatten und dementsprechend weniger Berührungsängste vorherrschen.
Es geht auch viel um eine Offenheit im Umgang mit gehörlosen Menschen und nicht primär darum, dass man perfekt gebärden können muss. An dieser Stelle müsste man wieder gehörlose Menschen selbst fragen, was sie im Umgang mit hörenden Menschen wünschenswert fänden.
Ronja, vielen Dank für das Interview.
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