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„Es ist nicht egal, wie wir geboren werden“
Maria Ehrenstraßer, Maxi Armbruster und Johanna Schmidl arbeiten als freiberufliche Hebammen am Ingolstädter Klinikum. Jeden Tag begleiten sie werdende Eltern vor, während und nach der Geburt. Im Interview geben sie uns Einblicke in ihren Berufsalltag, erzählen von besonderen Momenten und dem Glück, das dieser Beruf mit sich bringt, über tabuisierte Geburtsthemen und das Handwerkszeug, das man als Hebamme braucht.
Maria, was hat dich dazu gebracht, Hebamme zu werden?
Die Schwester meiner besten Freundin ist sehr jung Mutter geworden und hat sich damals für eine außerklinische Geburt entschieden. Im Zuge dessen habe ich mitbekommen, wie vielseitig und interessant der Beruf ist.
Was liebst du besonders an deiner Arbeit?
Besonders liebe ich, dass man so viele unterschiedliche Familien kennenlernt und die Herausforderung, sich schnell auf ganz neue Situationen einstellen zu müssen. Man weiß nie, was einen im Dienst erwartet.
Neben den vielen persönlichen Geschichten und Schicksalen ist es auch super, dass man in so einem tollen Team arbeiten kann. Da wir in einem großen Level 1 Krankenhaus arbeiten, ist auch der medizinische Aspekt der Arbeit sehr interessant und fordernd. Wir betreuen ja nicht nur unkomplizierte Fälle, sondern auch Frauen, die mit zum Teil schweren Vorerkrankungen schwanger werden. Auch nach vielen Jahren lernt man immer noch dazu. Außerdem sieht man sich an schönen Geburten und glücklichen Familien nie satt.
Könnt ihr euch noch an die erste Geburt erinnern, bei der ihr mit dabei sein durftet?
Johanna: An meine erste Geburt erinnere ich mich sehr gut. Ein kleines Mädchen namens Rebecca wurde geboren, dessen Mutter eine Naturgewalt war und sie auf der Matte am Boden zur Welt brachte. Als ich das miterlebt habe, war ich ehrfürchtig und verzaubert von der Stärke einer Gebärenden und dem Leben und konnte mir absolut keinen anderen Beruf mehr vorstellen.
Maria: Ich kann mich auch noch gut daran erinnern. Ich machte 2002 ein Praktikum an der Rotkreuzklinik in Würzburg auf einer ganz kleinen Geburtshilfe-Station. Ich weiß noch, dass ich total berührt war von dem Wunder, bei dem ich dabei sein durfte. Mein Körper war voller Adrenalin.
An schönen Geburten und glücklichen Familien sieht man sich nie satt
– Maria Ehrenstraßer –
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Welcher Moment in deiner Laufbahn als Hebamme ist dir besonders in Erinnerung geblieben?
Maria: Ich durfte einige Freundinnen bei den Geburten ihrer Kinder begleiten – das ist jedes Mal etwas Besonderes für mich und daran werde ich mich immer erinnern. Natürlich gibt es auch sehr traurige Geschichten, das gehört zu unserem Beruf dazu. Wenn Kinder krank geboren werden und nach ein paar Tagen, Wochen oder Monaten versterben, ist das für alle beteiligten unbegreiflich. Ich erinnere mich an alle meine Sternenkinder.
Welche Vorstellungen haben die Menschen typischerweise von eurer Arbeit und wie sieht euer Alltag tatsächlich aus?
Maxi: Viele Menschen wissen gar nicht, wie vielseitig unser Beruf ist. Sie denken, eine Hebamme arbeitet im Kreißsaal, ist da die Hilfskraft der Gynäkolog*innen und fängt die Babys auf.
Der Beruf ist aber so unheimlich vielseitig. Es gibt freiberufliche Hebammen und angestellte Hebammen. Das Spektrum der Angebote ist enorm: Wir kümmern uns um die Geburtsvorbereitung und die Schwangerschaftsvorsorge, leisten Hilfe bei Beschwerden während der Schwangerschaft. Die Geburtshilfe sowie die Wochenbettbetreuung und Rückbildung sind nur ein kleiner Teil unseres Arbeitsalltags.
In der Klinik arbeiten wir in einem großen Team aus vielen Fachrichtungen, zum großen Teil bestehend aus Gynäkologie, Pädiatrie und Anästhesie. Es ist richtige Teamarbeit, wir arbeiten im Klinikum Hand in Hand. Wir als Hebammen sind Fachfrauen für Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Wir brauchen aber nicht nur Fachwissen und Teamfähigkeit, sondern müssen vor allem auch emphatisch sein und verstehen, dass die Frau, die schwanger ist und Beschwerden hat oder ihr Kind bekommt, jetzt einfach jemanden an ihrer Seite braucht, der sie unterstützt, ihr Mut zuspricht und ihr versichert, dass sie das jetzt alles schaffen kann. Währenddessen muss man jederzeit einschätzen, ob alles noch physiologisch verläuft, oder ob Komplikationen drohen. Man muss in Notfällen jederzeit genau wissen, welche Aufgabe man hat.
Als Hebamme in der Geburtshilfe – egal ob in der Klinik oder in der außerklinischen Geburtshilfe – muss man sehr flexibel sein, was die Arbeitszeiten betrifft. Manchmal dauert ein Dienst eben länger als geplant.
Für die allermeisten Menschen ist die Geburt eines Babys etwas Magisches, was sie nur ganz selten miterleben. Spürt ihr diese Einzigartigkeit der Geburt immer noch oder hat sich das Gefühl mit den Jahren abgeschwächt?
Johanna: Auch wenn sich natürlich eine gewisse Routine einstellt… Es gibt immer noch viele Geburten, die das Herz berühren und uns allen immer mal wieder ein Tränchen der Rührung und des Glückes in die Augen treiben. Ich persönlich werde immer ganz rührselig, wenn die Partner*innen vor Erleichterung und Glück weinen. Oder wenn man sieht, wie Partner*innen liebevoll die
Gebärenden unterstützen und ihnen Mut machen.
Mit welchen Fragen oder Unsicherheiten kommen werdende Eltern besonders häufig auf euch zu und wie bereitet ihr sie auf die Geburt vor?
Maxi: Zur Zeit bestehen die größten Sorgen zu den verschärften Sicherheitsmaßnahmen im Zuge der Pandemie. Da können wir die werdenden Eltern jedoch beruhigen. Begleitpersonen sind in unserem Kreißsaal willkommen. Auch Besuch ist in eingeschränktem Rahmen auf der Wochenbettstation möglich.
Und während der Geburt müssen die Frauen natürlich keinen Mundschutz tragen.
Ansonsten sind die Ängste und Unsicherheiten sehr individuell. Wir bitten die werdenden Eltern, sich ab der 30. Schwangerschaftswoche bei uns im Kreißsaal zur Geburtsanmeldung vorzustellen. Dort nimmt sich eine Hebamme Zeit, um sämtliche Fragen zur bevorstehenden Geburt zu beantworten. Außerdem sichten wir bei diesem Termin schon einmal den Mutterpass, um zu wissen, ob es schon im Vorfeld Besonderheiten in der Schwangerschaft gab.
Weil momentan keine Kreißsaalführungen im großen Rahmen möglich sind, bieten wir den werdenden Eltern bei diesem Termin die Möglichkeit, unsere Räumlichkeiten kennenzulernen. Vorausgesetzt natürlich, dass ein Kreißsaal frei ist, den wir zeigen können.
Es gibt immer noch viele Geburten, die das Herz berühren und uns allen immer mal wieder ein Tränchen der Rührung und des Glückes in die Augen treiben
– Johanna Schmidl –
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Worauf müsst ihr als Hebammen während der Geburt achten?
Maria: Ganz schön schwierig zu beantworten. Jede Geburt ist so individuell. Grundsätzlich gibt es aber ein paar Punkte, auf die wir immer achten: Die Intimsphäre der Frau zu wahren, ein respektvoller Umgang und das
Miteinbeziehen der Gebärenden in sämtliche Entscheidungen.
Welche verschiedenen Geburtsarten bietet ihr im Ingolstädter Klinikum an?
Maria: Natürlich haben die Frauen die Möglichkeit, die Gebärposition frei zu wählen. Gerne helfen wir der Gebärenden, die richtige Position zu finden.
Wir haben Matten, Gebärhocker, Pezzibälle, Seile zum Festhalten und zwei große Badewannen für Entspannungsbäder oder Wassergeburten.
Wir arbeiten außerdem mit Aromatherapie, haben verschiedene Massageöle z.B. zur Wehenanregung oder zur Regulation der Wehen. Einige Kolleginnen haben Fortbildungen in Akupunktur, Homöopathie oder in der Anwendung von Kinesiotaping.
Wenn notwendig, ist es möglich zu jeder Tages- und Nachtzeit einen Kaiserschnitt durchzuführen. Da wir ein Level 1 Krankenhaus sind, stehen rund um die Uhr Fachärzte aus den Bereichen Gynäkologie, Pädiatrie und Anästhesie bereit. So können wir bei Notfällen schnellstmöglich reagieren und Mutter und Kind sind optimal versorgt.
Worauf sollte man in den Tagen und Wochen nach der Geburt unbedingt achten?
Maxi: Ruhe, Schonung und das Wochenbett. Sich umsorgen lassen und erst einmal langsam als Familie ankommen. Die ersten 14 Tage sollte man zu Hause bleiben, viel liegen und versuchen, sich so gut es geht zu erholen. Man sollte wenig bis keinen Besuch haben. Im Idealfall hat man eine Hebamme für die Wochenbettbetreuung. Diese steht einem die ersten Wochen nach der Geburt zur Seite und Kontrolliert, ob alles physiologisch verläuft.
Die ersten Wochen nach der Geburt sind eine so besondere Zeit. Es ist sehr schade, dass bei sehr vielen Familien nach ein paar Tagen der Alltag wieder einkehrt.
Die Wochenbettdepression betrifft nach der Geburt 15% aller Mütter. Wie geht ihr als Hebammen damit um?
Maria: Oft ist es sehr schwer, eine Wochenbettdepression zu erkennen. Es gibt einen Selbsttest von Licht & Schatten e.V. den man machen kann, wenn man vermutet, dass man an einer Wochenbettddepression leidet. Als Hebamme verweise ich dann an Fachkräfte wie Psycholog*innen.
Vieles, was während einer Geburt passiert, wird tabuisiert, man spricht nicht darüber. Was sollte eurer Meinung nach Jede*r über die Geburt wissen, was zu wenig oder nie besprochen wird?
Johanna: Ein Tabu ist, dass es durchaus Gewalt in der Geburtshilfe gibt. Das kann körperlich sein, aber auch psychischer Druck, der auf die Frauen ausgeübt wird.
Die Frauen sollen selbstbestimmt und eigenverantwortlich gebären dürfen. Hierfür brauchen sie viel Aufklärung im Vorfeld.
Es ist wichtig, dass die werdenden Eltern in alle Entscheidungen miteinbezogen werden. Uns liegt sehr am Herzen, dass die Familien einen schönen Start in das neue Leben haben, denn es ist nicht egal, wie wir geboren werden.
Viele Menschen wissen gar nicht, wie vielseitig unser Beruf ist. Sie denken, eine Hebamme arbeitet im Kreißsaal, ist da die Hilfskraft der Gynäkolog*innen und fängt die Babys auf.
– Maxi Armbruster –
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Welche typischen Mythen über die Geburt würdet ihr gerne einmal richtigstellen?
Maria: Im Film läuft es immer gleich ab. Die Blase springt, Panik bricht aus, sofort setzen Wehen ein und wenige Minuten später wird das Kind geboren. Mit der Realität hat das wenig zu tun.
Wie hat die Corona-Pandemie euere Arbeit verändert?
Maxi: Dass wir als medizinisches Personal mit Maske arbeiten müssen, war die ersten Tage schon sehr ungewohnt. Aber wir haben uns schnell damit zurecht gefunden.
Im ersten Lockdown war es schon sehr schlimm, dass die Frauen keinen Besuch haben durften. Da mussten wir Hebammen und auch die Schwestern auf der Station sicherlich viele Tränen trocknen. Zum Glück hat sich das aber ja deutlich entspannt. Ansonsten geht es uns wahrscheinlich wie dem Rest der Bevölkerung. Man hat sich an viele neue Regeln und Richtlinien sehr schnell gewöhnt und damit zu leben gelernt.
Die Zahl der Hebammen in Deutschland nimmt ab. Woran liegt das und glaubt ihr, dass man den Abwärtstrend noch aufhalten kann?
Maria: Dass die Zahl der Hebammen stetig abnimmt, hat viele Gründe. Der Hauptgrund ist wohl die schlechte Bezahlung bzw. die hohen Ausgaben, die man als freiberufliche Hebamme leisten muss. Aber auch die schlechten Arbeitsbedingungen, unter denen angestellte Hebammen arbeiten müssen.
Man könnte den Abwärtstrend mit Sicherheit aufhalten, aber ich glaube leider nicht, dass sich an der jetzigen Situation in naher Zukunft etwas verbessert.
Was würdet ihr euch für die Zukunft für den Beruf und die Arbeitsbedingungen der Hebammen wünschen?
Maria: Eine 1:1 Betreuung in der Geburtshilfe, denn in vielen Krankenhäusern der Republik herrscht eine katastrophale Besetzung in den Kreißsälen. Die Kolleg*innen arbeiten am Limit, die Frauen werden zum Teil sehr schlecht betreut. Es braucht eine bessere Lobby, weniger Bürokratie, eine Regelung zur jährlich steigenden Haftpflichtversicherung, insgesamt eine bessere Vergütung. Wir Hebammen am Klinikum Ingolstadt sind ein Team aus freiberuflichen Hebammen und daher deutlich besser besetzt.
Maria, Maxi und Johanna, vielen Dank für diese interessanten Einblicke in eure Arbeit und alles Gute für euren weiteren Weg.
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