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Warum schämen wir uns so wenig?
Seit 10 Jahren kämpft der Ingolstädter Tierarzt und ehemalige Umweltreferent Rupert Ebner gegen den Antibiotika- Missbrauch in der Massentierhaltung. Jetzt hat er aus seinen Erfahrungen ein Buch gemacht, das als Weckruf zu verstehen ist. Denn es steht einiges auf dem Spiel: Das Wohl der Tiere, unsere Gesundheit und die Zukunft der Landwirtschaft
Antibiotika als Futterzusatz gehören in der Massentierhaltung zur Tagesordnung. Viele Tiere würden die schlechten Haltungsbedingungen ohne Medikamente nicht überleben, also verabreicht man ihnen prophylaktisch Medizin. Für uns Menschen hat das zur Folge, dass wir durch den Verzehr tierischer Lebensmittel zunehmend Antibiotika-Resistenzen aufbauen – immer mehr Antibiotika zeigen keine Wirkung mehr. Im Interview spricht Rupert Ebner darüber, wie es so weit kommen konnte, was die Folgen dieser Entwicklung sind und was ihm trotzdem Hoffnung macht.
Herr Ebner, wie ist die Idee zu Ihrem Buch entstanden?
Entscheidend für meine Sicht der Dinge war der Schweinemastskandal im Jahr 2000, der eigentlich ein extremer Fall von Antibiotika-Missbrauch war, verbunden mit dem Namen des Straubinger Tierarztes Roland Fechter.
Seit dieser Zeit war öffentlich bekannt, wie fahrlässig mit Antibiotika in der Nutztierhaltung umgegangen wird. In das Buch sind nun Sachverhalte, Erkenntnisse und Beobachtungen eingeflossen, die ich über die Jahre in meiner täglichen Arbeit als praktizierender Tierarzt und tierärztlicher Berufsvertreter gesammelt habe. Die Recherche des wissenschaftlichen Hintergrundes hat in weiten Teilen meine Co-Autorin Eva Rosenkranz geleistet.
Sie warnen in Ihrem Buch vor einer drohenden Antibiotika-Katastrophe. Welche Folgen hätte sie für uns?
Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird es immer mehr unwirksame Antibiotika und multiresistente Bakterien geben. Simple bakterielle Infektionen würden dann wieder zum Tod der betroffenen Menschen führen. Außerdem wären große Teile der modernen Medizin, zum Beispiel Gelenkprothesen, Organtransplantationen und die Kathetermedizin mit einem ungleich höheren Risiko verbunden, als dies mit gut wirksamen oder gut verträglichen Antibiotika der Fall ist.
Wie konnte es so weit kommen, dass wir uns jetzt in dieser Situation befinden?
Seit den siebziger Jahren sind Antibiotika in der Tiermedizin in großem Umfang verfügbar, dazu sind sie ausgesprochen preiswert. Neben dem Effekt, dass man damit bakterielle Erkrankungen heilen kann, haben Antibiotika beispielsweise im Futter auch einen wachstumsfördernden Effekt, sprich die täglichen Zunahmen von Mastschweinen und Mastgeflügel erhöhen sich deutlich.
Der nicht sachgerechte Einsatz von Antibiotika ist seit Jahrzehnten ohne großes Risiko für Tierärzte und Landwirte möglich. Die Verantwortung dafür trägt der Gesetzgeber, der trotz zahlreicher Novellen des Arzneimittelgesetzes nie die wirklichen Schwachstellen aufgegriffen hat. Dazu gehört, dass Antibiotika keiner Preisbindung unterliegen, sondern mit großen Rabatten für Großabnehmer von der Pharmaindustrie vertrieben werden.
Die staatlichen Veterinärämter sind mit viel zu wenig Personal ausgestattet und das Justizsystem ist mit der Problematik kaum vertraut. Weder Staatsanwaltschaften noch Gerichte verfügen über die Spezialkenntnisse, die für eine effektive Beurteilung der Sachverhalte notwendig wären.
„Der Konsument sieht nur den schönen Schein, erzeugt von perfektem Marketing“
Können Sie sich erklären, warum dieses Thema immer noch vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit bekommt?
Mein Buch soll ein kleiner Beitrag dazu sein, dass diesem existenziellen Thema mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Wie dramatisch das fehlende Interesse der Politik an diesem Thema ist, zeigt sich daran, dass das gerade beschlossene Tierarzneimittelgesetz es nicht einmal in eine mündliche Debatte des Deutschen Bundestages geschafft hat, sondern im Eilverfahren ohne Aussprache beschlossen wurde. Es gibt keine Zweifel, dass extrem mächtige Lobbyisten dieses Gesetz noch vor einem möglichen Regierungswechsel in „trockene Tücher“ bringen wollten. Man kann nur hoffen, dass die neue Bundesregierung möglichst bald mit der Korrektur dieser Gesetze beginnt.
Sie stellen in dem Buch zu Beginn einige Fragen auf: „Warum fürchten wir uns so wenig? Warum ekeln wir uns so wenig? Warum schämen wir uns so wenig?“ Welche Antwort haben Sie darauf?
Leider haben sich die Konsumenten und die Produzenten sehr stark auseinandergelebt. Der Konsument sieht nur den schönen Schein, erzeugt von perfektem Marketing. Noch immer ist auf den Milchpackungen die Kuh mit Hörnern auf der grünen Wiese abgebildet. Dieses Bild ist weit weg von der Realität. Zum Teil werden die Verbraucher richtig verarscht. So heißt es beispielsweise bei Brathähnchen oft „aus Bodenhaltung“. Die Mast von Brathähnchen hat aber noch nie in Käfigen stattgefunden, immer in Bodenhaltung!
Welche positiven Ansätze für eine zukunftsfähige Landwirtschaft gibt es heute schon?
Generell ist die Biolandwirtschaft in großen Teilen auf dem richtigen Weg. Sie kann die Welt ernähren, auch 10 Milliarden Menschen. Wir müssen nur das vorhandene lokale Wissen nutzen und Lebensmittelverschwendung auf allen Ebenen, auf den landwirtschaftlichen Betrieben, in der Verarbeitung und natürlich bei uns im Haushalt vermeiden.
Als besonders förderungswürdig sehe ich die Projekte einer Solidarischen Landwirtschaft. Hier gibt es auch schon wunderbare Beispiele in der Region.
„Die Verantwortung trägt der Gesetzgeber“
Sie kämpfen schon seit Jahren für eine Agrarwende. Wie frustrierend ist es eigentlich, mit ansehen zu müssen, dass sich kaum etwas verändert?
Frust bringt uns nicht weiter und gerade in diesen Tagen gibt es Hoffnung auf Veränderungen in die richtige Richtung.
Wie optimistisch blicken Sie in die Zukunft?
Ich habe Kinder und Enkelkinder, da verbietet sich Pessimismus.
Bringen Sie es selbst noch übers Herz, tierische Lebensmittel zu verzehren?
Als praktizierender Landtierarzt ist man privilegiert. Die tierischen Lebensmittel, die in unserem Haushalt auf den Tisch kommen, entsprechen den Kriterien, die ich oben angeführt habe und deshalb können ich und meine Familie sie mit Genuss verzehren.
Wie können wir die Nähe zu den Tieren wieder herstellen und dadurch wieder Verantwortung für unser Handeln übernehmen?
Seit drei Jahrzehnten bin ich Mitglied und Aktivist der internationalen Slow-Food-Bewegung, derzeit als Leiter des Slow Food Convivums München mit 800 Mitgliedern.
Wir haben schon vor fast 10 Jahren einen Verein gegründet, die „Genussgemeinschaft Städter und Bauern“. Ziel dieses Vereines ist es, Konsumenten und Produzenten näher zueinander zu bringen. Besuche auf landwirtschaftlichen Betrieben, in Bäckereien und Metzgereien fördern das gegenseitige Verstehen und führen zu ehrlichen und tiefen Einblicken in die Erzeugung von Lebensmitteln.
Sie schreiben, dass wir alle in der Verantwortung seien, etwas zu verändern. Heißt das, wir müssen alle Veganer*innen werden?
Veganer kann man werden, wir haben in unserer Gesellschaft die Möglichkeit dazu. Aber man muss wissen, dass 60 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen der Erde Weide sind und die können wir für die menschliche Ernährung nur durch Tiere, meist Wiederkäuer, nutzen.
Natürlich muss es in Zukunft heißen: weniger Fleisch und nur Fleisch von Tieren, die ohne Leiden und Schmerzen gehalten und nach kurzem Transport stressfrei geschlachtet wurden.
Welchen Rat geben Sie unseren Leser*innen mit auf den Weg, die sich für eine zukunftsfähigere Landwirtschaft einsetzen wollen?
Fordern Sie die Politik auf, Rahmenbedingungen zu schaffen, dass Landwirte so produzieren können, dass dabei die ersten Paragrafen des Tierschutzgesetztes eingehalten werden können, und dass die tierhaltenden Landwirte mit dieser Arbeit ein auskömmliches Einkommen erzielen.
Lebensmittel, die bei ihrer Erzeugung das Klima schädigen oder bei ihrer Produktion multiresistente Keime hervorrufen, haben nichts auf unseren Tischen verloren.
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