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Ich (be)krieg die Krise

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Ich (be)krieg die Krise

Fotos: Andrea Kieferl

Sarah Kaindl ist Resilienz-Coach. Mit uns spricht sie über das Immunsystem unserer Seele, die Gefahr von toxischer Positivität und die Bedeutung von Selbstfürsorge.

Sarah Kaindl

Resilienz-Coach

Hallo Sarah, du bist Resilienz-Coach. Zunächst die Frage: Was bedeutet Resilienz überhaupt?
Die menschliche Resilienz ist die Aufrechterhaltung oder zügige Wiederherstellung der psychischen Gesundheit, trotz, während und nach belastenden Situationen. Wenn eine Person resilient ist, kann sie die Krisen, Rückschläge und Belastungen, die das alltägliche Leben bereithält, durchstehen, gut damit umgehen und nach Möglichkeit sogar gestärkt daraus hervorgehen. Einfacher kann man sagen: Resilienz ist das Immunsystem unserer Seele.

Lassen sich Gemeinsamkeiten zwischen dem körperlichen und seelischen Immunsystem herstellen?
Ja, definitiv. Denn so, wie ich mein körperliches Immunsystem stärken kann, z. B. durch Bewegung an der frischen Luft oder gesunde und ausgewogene Ernährung, kann ich auch die Resilienz in jedem Alter stärken und ausbauen. Zudem ist es ja manchmal so, dass man nach einer überstandenen Infektion resistenter gegen eine Krankheit ist und dadurch nicht mehr so angreifbar. So ist es ebenfalls bei der Resilienz: Man geht aus einer überstandenen Krise gestärkt hervor und hat die Möglichkeit daran zu wachsen.

Klingt ja fast so als wäre es gut, eine Krise zu haben…
So würde ich das nicht sagen. Es stimmt zwar, dass sich erst in schwierigen Lebenslagen zeigt, wie resilient ein Mensch ist, aber deshalb sollte man sich nicht darüber freuen. Oft wird Resilienz irrtümlich als toxische Positivität verstanden und gerade im Arbeitskontext missinterpretiert, um den Arbeitnehmer*innen schlimmste Bedingungen als Herausforderung zu verkaufen. Es geht aber weder darum, mit einer rosaroten Brille den Alltag zu bestreiten und alle Krisen aufs Herzlichste zu begrüßen, noch sich so zu optimieren, dass einem auch die größte Belastung nichts mehr ausmachen kann. Vielmehr betrachtet man die Welt und das Leben auf eine realistische Art und Weise, mit all seinen Sonnen- und Schattenseiten, immer versuchend ganz aktiv „das Beste“ daraus zu machen.

Wie hast du dir dein Wissen angeeignet, um nun anderen Menschen helfen zu können?
Ich habe im Alter von 16 zunächst fünf Jahre die Ausbildung zur Erzieherin gemacht, dann einige Zeit in einem integrativen Kindergarten gearbeitet und mit 24 Jahren zusätzlich eine Weiterbildung zur Heilpädagogin absolviert. Hierbei habe ich schon sehr viel über Resilienz, Psychologie im Allgemeinen und die systemische Therapie gelernt. Vertieft habe ich mein Wissen dann in der Ausbildung zur Resilienz-Coach, in der Kitchen2Soul Akademie in München. Aber auch in meinem Arbeitsalltag als pädagogische Fachkraft in einer Einrichtung für Erwachsene mit psychischen Erkrankungen lerne ich seit sieben Jahren täglich dazu.

Hoffentlich wird es nicht so schlimm, wie es schon ist!

Inwiefern hat deine Arbeit dort dich beeinflusst, die Resilienz-Coach-Ausbildung zu machen?
Zum einen bedauerte ich oft, dass man in unserem Gesundheits- und Sozialhilfesys tem, und somit auch in der Einrichtung, in der ich arbeite, erst Unterstützung bekommt, wenn das sprichwörtliche Kind schon in den Brunnen gefallen ist und die psychiatrische Diagnose steht. Mich hat die Idee begeistert, als Resilienz-Coach präventiv wirken zu können. Zum anderen hat es mich immer fasziniert, dass Resilienz keine starre Persönlichkeitseigenschaft ist, die man besitzt, oder nicht, sondern einem dynamischen Prozess unterliegt, den man selbst positiv beeinflussen kann. So viele Merkmale kann man nicht beeinflussen: in welche Familie man geboren wird, die Gene, die Vergangenheit, etc. Da ist es doch schön, mit Resilienz einen veränderbaren Gegenpol zu haben!

Thema Selbstfürsorge: Wie wichtig ist es, auf sich selbst zu achten? Ist ein gewisser Egoismus gesund?
Durch meine Arbeit weiß ich, wie fragil das Konstrukt ist, das wir Psyche nennen. Ganz plötzlich kann man von einem psychisch gesunden zu einem psychisch kranken Menschen werden und das bringt viel Leid mit sich. Deshalb ist es enorm wichtig, dass man auf sich selbst, seine Grenzen und Werte achtet. Für mich hat das nichts mit Egoismus zu tun. Wenn ich mit einer Motorsäge arbeite, ziehe ich mir ja auch eine Schnittschutzhose an und da würde ja vermutlich niemand sagen, dass das egoistisch ist, oder?

Auf deiner Website schilderst du Beispiele für deine eigenen Werte. Welche Rolle spielen Wertvorstellungen in Bezug auf die eigene Resilienz?
Über die eigenen Werte Bescheid zu wissen und nach diesen zu leben ist ein enorm wichtiger Faktor für die eigene Resilienz und das psychische Wohlbefinden. Das ist mittlerweile sogar wissenschaftlich erwiesen.

Was tust du für dich selbst, um dich gut zu fühlen?
Ich tanze gerne Zumba und seit Anfang des Jahres gehe ich zum Jumping-Fitness, dort ist man körperlich so gefordert, dass das Hirn keine Möglichkeit hat, irgendwas zu denken. Ansonsten liege ich unglaublich gerne auf der Couch und hänge meinen Gedanken nach. Auf bayerisch würde man sagen „santln“. Zudem mache ich in unregelmäßigen Abständen Supervision. Das ist eine sehr gute Möglichkeit für mich, Erlebnisse, Situationen und Gespräche aus der Arbeit und dem Coaching einzuordnen, zu verarbeiten und (besser) damit umzugehen.

Wie viel Zeit verbringst du mit Social Media?
Mit Social Mediakanälen verbindet mich eine richtige Hass-Liebe. Einerseits habe ich viele interessante Leute kennengelernt, die im wahren Leben Freunde geworden sind und sogar auf die Ausbildung zur Resilienz-Coach bin ich durch Instagram gekommen. Andererseits weiß ich, dass dort viel Hass und Hetze herrschen und auch anderweitig enorm viel grassiert, was der psychischen Gesundheit nicht gerade zuträglich ist. Ich versuche, meinen Internet-Konsum so gering wie möglich zu gestalten, was mir aus verschiedenen Gründen nicht immer gelingt.

Welche Gefahr bergen Instagram und Co. für unsere mentale Gesundheit?
Es ist nicht gut, dass ich mich 24/7 mit anderen Leuten vergleichen kann, denen es vermeintlich besser geht, die mehr Geld haben, ständig im Urlaub sind und immer top gestylt sind. Es wird ein unrealistisches Bild vermittelt, mit dem die Wirklichkeit nicht mithalten kann. Das kann einen schon mal ziemlich deprimieren. Wenn man dann zusätzlich noch psychisch angeschlagen ist, kann das zu einer Intensivierung der Problematik führen. Darüber hinaus ist Cybermobbing zusätzlich ein enormes Problem, welches als Belastung für die Psyche des Betroffenen nicht unterschätzt werden darf.

Thema Stress: Hast du das Gefühl, dass immer mehr Menschen auf eine Work-Life-Balance achten, oder ist Alltagsstress durch Job, Haushalt, Familie in den letzten Jahren eher gewachsen, z.B. durch falsche Vorbilder in den Medien?
Auch wenn die Bewegung scheinbar dahin geht, mehr auf sich zu achten, sich Auszeiten zu nehmen, sich mit den inneren Vorgängen mehr zu beschäftigen und offener darüber zu sprechen, ist Stress in all seinen Dimensionen nach meiner Beobachtung nach wie vor eine extrem große Belastung für den Großteil der Menschen. Dass dieser Stress auf Dauer krank machen kann, wissen wir ja alle. Ich glaube, man kann nicht allein die Medien dafür verantwortlich machen. Schwierige Beziehungen, belastende Arbeitsbedingungen, Geldsorgen, gesellschaftlicher Leistungsdruck und defizitäre Infrastruktur sind dafür ebenfalls verantwortlich.

Du hältst auch Vorträge als Speakerin und bietest Workshops für Gruppen an. Wen sprichst du damit an?
Zu meinen Workshops kommen häufig Personen, die bereits schwere Zeiten erlebt haben oder sich gerade darin befinden. Aber oft auch Leute, die sich einfach für das Thema interessieren.

Mit welchen Fragestellungen kommen Menschen zu dir?
Zu mir ins Coaching kommen Personen mit vielfältigen Fragestellungen. Sehr oft geht es darum, dass der oder die Coachee gerade irgendwo gedanklich „feststeckt“, sei es im Berufs- oder Privatleben, was im weitesten Sinne zu Unwohlsein und Belastung führt.

Wie läuft ein persönliches Coaching bei dir ab? Worum geht es bei deinen Sitzungen?
Jedes Coaching, jede Session läuft ganz individuell und ist stets auf den oder die Coachee abgestimmt. Auch das Setting ist nicht festgelegt. Manchmal online vor dem PC, manchmal in meinen Praxisräumen in Präsenz oder gemeinsam durch die Natur schlendernd, alles ist möglich. Meine Aufgabe besteht dann darin, durch meine Fragen oder Anmerkungen die Lösung bzw. Linderung der Problemstellung, die der oder die Coachee bereits in sich trägt, aufzudecken. Und das klingt jetzt vermutlich viel esoterischer, als es in Wahrheit ist. Mir ist es unheimlich wichtig, wissenschaftlich basierte und fundierte Methoden anzuwenden, die ich in meiner Ausbildung zur Resilienz-Coach gelernt habe.

Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute!

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