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"Eigentlich habe ich alles gesagt"
Für Knut Weber fällt der letzte Vorhang. Ein Interview mit dem scheidenden Intendanten des Ingolstädter Stadttheaters.
Herr Weber, nach 13 Jahren als Intendant am Stadttheater Ingolstadt und einem ganz dem Theater gewidmeten (Berufs)Leben fällt für Sie nun der letzte Vorhang. Wie geht es Ihnen damit?
Ich würde lügen, wenn ich sage: Es fällt mir leicht. Es ist ein ambivalentes Gefühl. Ich denke, es ist irgendwann für jeden Zeit zu gehen. Jetzt kommen andere Menschen, die andere Geschichten erzählen, auf andere Art und Weise – so ist das Leben. Das ist in Ordnung und ich bin damit einverstanden.
Wieviel Wehmut steckt aktuell in Ihnen?
43 Jahre Theater ist natürlich nicht wenig, aber irgendwann muss jeder Mensch loslassen. Es ist Wehmut dabei, aber auch eine gewisse Vorfreude auf das, was die Franzosen das „dritte Lebensalter“ nennen.
Sie haben Theaterwissenschaft studiert, haben Sie vor dem Studium auch einmal abseits des Theaters gearbeitet?
Nee. Ich habe in meiner Schulzeit angefangen Theater zu spielen, habe während des Studiums als Regieassistent gearbeitet und bin im Anschluss gleich rein in den Beruf.
Nach Ingolstadt kamen Sie ja nicht ohne Berufs- und Lebenserfahrung. Gab es dennoch etwas, das Sie hier noch dazulernen konnten?
Eine gewisse Gelassenheit – auch gegenüber persönlichen Angriffen. Diese Facebook-Gruppe „Ingolstadt diskutiert“ war während der Debatte um die Kammerspiele, die hier oftmals ein solides Hintergrundwissen vermissen ließ, nicht so lustig. Zu lernen, das auszuhalten und irgendwie zu akzeptieren, ist für mich eine neue Erfahrung gewesen.
Keine leichte.
Nein.
Knut Weber wurde 1953 in Bad Honnef (NRW) geboren und studierte Theaterwissenschaft, Germanistik und Philosophie an der FU Berlin. Als Dramaturg war er am Landestheater Tübingen, am Theater Wilhelmshaven sowie am Theaterhaus Stuttgart. Er war Intendant in Reutlingen und am Landestheater Tübingen sowie Schauspieldirektor am Badischen Staatstheater Karlsruhe. Im Sommer 2024 endet seine seit 2011 andauernde Intendanz am Stadttheater Ingolstadt – und damit auch die letzte Spielzeit seines Berufslebens.
Welche Höhepunkte und Meilensteine fallen Ihnen im Rückblick ein? Sowohl am Stadttheater Ingolstadt, als auch in der Zeit zuvor.
Ein persönlicher Meilenstein war für mich der Theaterpreis der Stuttgarter Zeitung, da ging es los. Wir – eine Gruppe namens „Theater Sirius“ – wurden für eine meiner Produktionen ausgezeichnet. Das öffnete die Türen. In Ingolstadt waren für mich ein paar Sonderformate besonders wichtig, wie die Spielzeiteröffnungen, die „Geheimen Gärten von Ingolstadt“, die Kindolstadt und der Futurologische Kongress. Das waren besondere Momente, die, glaube ich, auch nachhaltig in so einer Art Stadtgedächtnis haften bleiben.
Worauf sind Sie in Ihrer Intendanz am Stadttheater besonders stolz?
Ich denke, dass es gelungen ist, das Theater fest in der Stadt zu verankern. Dass das Haus in sich gefestigt dasteht. Dass wir ein ausgezeichnetes Ensemble aufgebaut haben und dass das Haus wirklich gut bestellt ist.
Gab es auch eine persönliche Niederlage?
Die Kammerspiele. Da hat sich Ingolstadt ein bisschen selbst ins Bein geschossen. Das war eine echte Chance, architektonisch und städtebaulich, aber auch vom Konzept einer Bürgerbühne her gedacht. Es ist wirklich sehr bedauerlich, dass dieser jahrelange Kampf so ausging. Wir wollten für das Kleine Haus eine nachhaltige Lösung. Nachhaltig heißt, dass wir für die Zeit der Sanierung des Großen Hauses eine Ersatzspielstätte haben, die aber dann dem Theater erhalten bleiben sollte. Das war ein super Konzept. Jetzt haben wir zwar ein schönes Holztheater, aber es ist nicht nachhaltig.
Sie sind kein Fan vom Holztheater.
Es ist schon okay. Ich habe es in der Schweiz gesehen, es ist ein sehr sympathischer Bau und hat die entsprechende Größenordnung. Aber es ist natürlich nicht das, was wir eigentlich wollten. Gott sei Dank wird jetzt der zweite Baustein – das Werkstätten- und das Probengebäude – realisiert. Ich erwarte keinen Widerstand. Damit ist für das Haus und für die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen ein wichtiger Meilenstein erreicht. Das ist wirklich eine große Verbesserung, nach so vielen Jahren Kampf.
Hätte man in Bezug auf die gescheiterten Kammerspiele etwas anders machen sollen?
Wir haben mit unserer Kampagne zu wenig Leute erreicht. Es waren ja nur 10.000 Stimmen dafür und 15.000 dagegen. Das heißt, die große Mehrheit der Wahlberechtigten hat gar nicht abgestimmt, das wurmt mich. Das Thema hat offensichtlich viele Menschen nicht so richtig interessiert.
Gibt es etwas, das Sie hier am Stadttheater gerne anders gemacht hätten?
Die internationale Vernetzung des Theaters ist ein bisschen aus dem Fokus geraten. Corona spielte dabei eine wichtige Rolle. Die Reihe „Danubia Connection“ hätten wir gerne ausgebaut, also intensive Partnerschaften mit Städten und Theatern, die an der Donau liegen. Die dritte „Danubia Connection“ wurde durch Corona verhindert. Danach hatten wir anderen Prioritäten zu setzen. Das bedaure ich ein bisschen.
Was war die größte Herausforderung während Ihrer Zeit am Stadttheater?
Die Kammerspiele, immer wieder die Kammerspiele (lacht). Die größte Herausforderung war, gute Arbeitsbedingungen für die Kolleginnen und Kollegen des Theaters zu schaffen, aber auch gute Bedingungen für die Zuschauerinnen und Zuschauer während der Sanierung. Das ist eine riesige Herausforderung, die auf das Theater zukommt. Da ist mir jetzt mit dem Holztheater natürlich schon sehr viel wohler. Wir werden eine gute Alternative haben für die lange Zeit, in der das Theater geschlossen sein wird. Und die Zeit der Pandemie natürlich.
Gab es auch mal einen großen Fauxpas, der es nie an die Öffentlichkeit geschafft hat und von dem Sie uns zum Abschied berichten möchten?
Das ist alles in einer Kiste verschlossen und den Schlüssel finde ich nicht mehr (lacht).
Auch keinen kleinen?
Auch keinen kleinen (lacht).
Wie hat sich Ihrer Meinung nach das Theater während Ihrer Intendanz verändert?
Eine große Neuerung war die Gründung der Sparte „Junges Theater“. Und durch die Öffnung in die Stadt mit den vielen kleinen und großen Projekten, wie „Downtown“ (eine lose Reihe von Groß-, Klein- und Kleinstprojekten, die über die Spielzeit verteilt vom Ensemble an ungewöhnlichen Orten gezeigt werden, Anm.). Dadurch wurde das Theater intern nochmal anders strukturiert und in der Stadt gut vernetzt. Diese Öffnung entstand aus dem Konzept des Hämerbaus mit seiner Glasfront heraus – also Leben reinlassen und gleichzeitig rausgehen und das Theater in die Stadt tragen. Diese Doppelbewegung war schon neu und ist, glaube ich, unterm Strich auch gut gelungen.
Mein Credo lautet: das Theater muss Geschichten erzählen. Da bin ich in gewisser Weise altmodisch. Dafür braucht es gute Geschichten und gute Spielerinnen und Spieler, die diese erzählen können. Ich glaube, das ist und bleibt die größte Herausforderung für das Theater und das ist das, was über die Jahrtausende hinweg Kontinuität bedeutet hat. Für mich ist das auch die Zukunft. Ich merke das überall. Dort, wo gute Schauspieler*innen in einem Theater spielen, haben die Theater wenig Legitimationsprobleme.
Etwas, das meine Arbeit zum Ende nochmal spannend gemacht hat, war die Umsetzung von nachhaltigem Arbeiten, Transparenz, einem Wertekodex und Barrierefreiheit. Wichtige Punkte, in denen das Theater Vorbild sein kann. Sicherlich auch eine weitere Herausforderung für die Zukunft.
Wie muss sich Theater Ihrer Meinung nach künftig ändern, um relevant zu bleiben? Oder: Muss es sich überhaupt ändern?
Theater geht immer mit der Zeit. Es gibt neue Formen, es gibt performative Formen, es gibt andere Ästhetiken. Auch das war ein Bestandteil des Konzepts der Kammerspiele: Dass man eine flexible Bühne hat und damit wegkommen kann von der klassischen Guckkastenbühnensituation, hin zu einer Raumbühne. Die Varianten entwickeln sich immer wieder neu. Die Themen verändern sich natürlich auch mit dem Lauf der Zeit. Aber trotzdem glaube ich, dass es einen Kern gibt und dieser Kern lautet: A spielt B für C. Das ist sozusagen die Grundformel des Theaters und die wird unterm Strich bleiben.
Beim Gastspiel „Orfeo ed Euridice“ des Augsburger Staatstheaters kamen VR-Brillen zum Einsatz. Oliver Brunner, der neue Intendant des Ingolstädter Stadttheaters, sagte auf einer Pressekonferenz, er glaube nicht an die VR-Brille. Wie sehen Sie das?
Ich finde das ein sehr interessantes Experiment. Ich glaube, die Künstliche Intelligenz wird das Theater durchaus verändern können – und zwar auf spannende Weise. Man hat das auch bei der Sparte X gesehen, wodurch neue Projekte und eine neue Ästhetik entstanden. Das wird das analoge Theater nie ersetzen können, aber als zusätzliche Bereicherung sehe ich das schon – bis hin zu Hologrammen von Spielerinnen und Spielern. Beim Gastspiel aus Augsburg hat man gemerkt, dass das ein sehr spannendes Format sein kann. Mit dem Staatstheater Augsburg hatten wir eine sehr schöne kooperative Zusammenarbeit.
Was würden Sie Ingolstadt gerne mit auf den Weg geben?
Großstadt annehmen. Und Vergangenheit durcharbeiten.
Großstadt annehmen oder Großstadt werden?
Den Anspruch, den Ingolstadt an sich selbst stellt, ernst meinen. Dazu gehört eine gewisse Weltoffenheit, eine gewisse Gelassenheit und Freundlichkeit. Das gehört einfach zu einem urbanen Lebensgefühl dazu. Das Theater ist für diese Stadt im Grunde genommen sehr groß. Wir haben knapp 700 Plätze. Es wurde gebaut, als Ingolstadt noch 70.000 Einwohner hatte. Insofern hat Ingolstadt schon einen Anspruch auf Urbanität, aber den muss die Stadt auch leben und zwar wie gesagt mit einer gewissen Gelassenheit.
Was werden Sie an Ingolstadt vermissen?
Ich könnte jetzt sagen, die Nähe zu den Bergen (lacht). Aber nein… Was ich schon vermissen werde, ist das Publikum. Diese Nähe, die das Publikum zum Ensemble hat, ist einzigartig und das habe ich in dieser Form auch noch nirgendwo erlebt. Das sind besonders intensive Momente, auch wenn ich mich an die Coronazeit erinnere, wo wir manchmal vor 50 Zuschauern gespielt haben und der Applaus dem eines ausverkauften Hauses glich. Diese intensive Beziehung und wechselseitige Zuneigung ist ganz sicher etwas, das ich vermissen werde.
Was werden Sie nicht vermissen?
Die populistische Verbissenheit in der Auseinandersetzung um die Kammerspiele (lacht). Wir hatten mal in einer Spielzeit eine Visionenwerkstatt eingerichtet. Das ist für mich nach wie vor ein guter Begriff und eine schöne Herausforderung für die Arbeit in dieser Stadt. Visionen zu entwickeln ist sicher auch ein Teil der Theaterarbeit. Ein Haus, das nach vorne denkt, da hat das Theater viele Möglichkeiten. Man hat gesehen, v.a. beim ersten Futurologischen Kongress, wie das funktionieren kann. Darauf bin ich ehrlich gesagt auch stolz. Das war ein Meilenstein, mit 15.000 Besuchern an einem Wochenende. Auch das Thema Frankenstein ist ein wichtiges Thema für die Stadt, das aber total vernachlässigt wird. Oder auf eine Art und Weise realisiert wird, wo ich glaube, dass man die Chancen von solch einem Projekt noch nicht so richtig erkannt hat. Das Thema KI mit dem Mythos zu verknüpfen wäre sehr spannend. Da könnte ich mir wirklich viel vorstellen in dieser Stadt.
Was möchten Sie noch sagen?
Servus. Eigentlich habe ich alles gesagt. (es folgt eine lange Denkpause) Ja, Mut. Mir fehlt ein bisschen der Mut in dieser Stadt. Das MKKD wird realisiert, das ist auch gut so, aber es reicht nicht. Ingolstadt hat so viele Möglichkeiten und macht zu wenig aus der Substanz. Da braucht es eine gute Energie, die auch Projekte denkt, bei denen man vielleicht auf den ersten Blick meint: das passt nicht zu uns. Natürlich wären ein Wolkenbügel oder die Kammerspiele spannend gewesen. Manche Dinge werden so klein gedacht. Es reicht nicht, ein Restaurant im obersten Stock eines Turms einzurichten. Ingolstadt war immer eine Stadt im Umbruch. Das reizt mich an Ingolstadt auch sehr. Erst eine Universitätsstadt, dann eine Militärstadt, dann eine Arbeiterstadt und jetzt passiert eigentlich die vierte Veränderung hin zu einer Dienstleistungsstadt. Diesen Prozess des Wandels kann man an einer mittelgroßen europäischen Stadt wie Ingolstadt ganz gut abbilden. Den würde ich stark machen. Nach vorne denken, kraftvoll. Und dann auch mal danebenhauen dürfen. Das, finde ich, gehört auch dazu.
Wohin zieht es Sie nun?
Zum Weinberg. Ich habe bei Bonn im Siebengebirge einen ehemaligen Weinberg von meinen Eltern geerbt, den möchte ich in irgendeiner Weise reaktivieren. Mal schauen, ob das funktioniert, aber es ist auf jeden Fall ein schönes Projekt.
Herr Weber, wir wünschen Ihnen alles Gute.
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