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Corona: Ein Nachmittag in Ingolstadt
Mittwoch, 15 Uhr, die Straßen der Ingolstädter Innenstadt sind leergefegt. So die Erwartungshaltung unseres Redakteurs. Mit Smartphone und Kamera macht er sich auf den Weg, um dieses ungewöhnliche Szenario für die Nachwelt zu dokumentieren. Aber wie war es wirklich?
Als Markus Söder am vergangenen Montag gegen 10 Uhr zur Pressekonferenz antritt, sitzt auch unser Redakteur mit Kopfhörern im Büro und wartet gespannt, was der Ministerpräsident zu verkünden hat. Ab Mittwoch darf die Gastronomie Gäste nur noch von 6 bis 15 Uhr bewirten, hieß es. Danach darf Essen nur als „To Go“ mitgegeben oder geliefert werden. Auch der Einzelhandel (Ausnahmen ausgenommen) muss schließen.
High Noon? Mitnichten.
Mittwoch, 15 Uhr. Dann, ja dann würden sich in der Ingolstädter Innenstadt gar gespenstische Szenen abspielen, denkt unser Redakteur. Geschlossene Geschäfte, der Wind pfeift durch die Gassen, keine Menschenseele auf der Straße. Vielleicht wäre auch Grillenzirpen zu hören oder der berühmte rollende Tumbleweed aus billigen Western zu sehen. Das muss doch für die Nachwelt dokumentiert, denkt er.
Punkt 15 Uhr macht er sich daher auf den Weg nach Ingolstadt. Auf dem rund 15-minütigen Weg dorthin merkt er bereits, dass er möglicherweise nicht die Geisterstadt auf Film bannen wird, die er sich bereits ausgemalt hat. PKW- und Radfahrer düsen gleichermaßen durch die Straßen. Die Sonne strahlt. Am (Lehrer)Parkplatz des Katherls angekommen, macht er sich auf den Weg in die Innenstadt. Zwischen Katharinen Gymnasium und FOS/BOS herrscht tatsächlich gähnende Leere. Doch es dauert etwa bis vor zum Kreuztor, bis er nun endgültig merkt, dass die warmen Sonnenstrahlen etliche Ingolstädter nach draußen lockten – trotz Corona. Auch vor so manchem Café sitzen nach 15 Uhr noch Gäste. In Theresien- und Ludwigstraße sind etliche Fußgänger unterwegs – ist ja auch nicht verboten, um es ganz deutlich zu sagen.
Der Stadtrat geht auf Distanz
Nachdem es mit der Dokumention der Geisterstadt nichts geworden ist, schaut unser Redakteur noch bei der Stadtratssitzung vorbei. Diese läuft dann doch in ungewöhnlichem Rahmen ab. Vorsorglich fand diese nicht im Großen Sitzungssaal des Rathauses statt, sondern im wesentlich größeren Festsaal des Theaters. Ausreichend Abstand zwischen den Stadträten garantiert. Auch bei der Begrüßung ist das Thema Corona allgegenwärtig. So entscheidet man sich schonmal für die Variante mit den gefalteten Händen und einer leichten Verbeugung, statt sich die Hände zu schütteln. Vor dem Sitzungssal Desinfektionsmittel für die Hände. Die Stadtratssitzung war öffentlich, auf den Besucherrängen sorgte ein Absperrband für den nötigen Abstand. Besucher waren jedoch rar gesägt, der Großteil der 14 Anwesenden waren Vertreter der Presse und zwei Gebärdensprachdolmetscherinnen. Die Sitzung wurde per Livestream übertragen – Corona und Stichwahl machen’s möglich.
Freiheit vs. Sicherheit
„Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst“, sagte Angela Merkel gestern in ihrem Appell an die Bürger Deutschlands. Soziale Distanzierung ist wichtig, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Die Einschränkungen werden Leben retten. Dennoch sind alle bisher gesetzten Maßnahmen ein großer Einschnitt in unsere Freiheitsrechte. Florian Klenk, der Chefredakteur der österreichischen Zeitung Falter schreibt dazu in einem Kommentar: „Ein bräsiger Patriotismuskitsch legt sich über diese Schutzmaßnahmen, und gar nicht wenige Journalisten schwenken das Weihrauchfass, statt auf Distanz zu bleiben.“ Ausgangsbeschränkungen seien u.a. von der Bundesregierung als Fake News abgetan worden – ehe sie dann doch kamen. Klenk schreibt weiter: „Wir müssen daher wachsam bleiben. Für kurze Zeit ist ein Eingriff in die Freiheit hinzunehmen, nach einigen Wochen werden wohl die Höchstgerichte die Verordnungen auf ihre Verhältnismäßigkeit zu überprüfen haben.“ Klenk kritisiert in seinem Kommentar auch die „digitalen Corona-Blockwarte„, die Menschen „fotografieren und bloßstellen, die sich im öffentlichen Raum mutmaßlich falsch verhalten.„
Auch Angela Merkel kennt diese Bedenken. „Lassen Sie mich versichern: Für jemandem wie mich, für die Reise- und Bewegungsfreiheit ein schwer erkämpftes Recht waren, sind solche Einschränkungen nur in der absoluten Notwendigkeit zu rechtfertigen. Sie sollten in einer Demokratie nie leichtfertig und nur temporär beschlossen werden – aber sie sind im Moment unverzichtbar, um Leben zu retten„, sagte sie in ihrer Ansprache am Mittwoch. Am Donnerstagvormittag, als unser Redakteur gerade die ersten Zeilen dieses Textes tippt, erreicht ihn eine Eilmeldung, die auf schärfere Maßnahmen schließen lässt. „Wenn sich viele Menschen nicht freiwillig beschränken, dann bleibt am Ende nur die bayernweite Ausgangssperre als einziges Instrumentarium, um darauf zu reagieren. Das muss jedem klar sein„, sagte Markus Söder in einer Regierungserklärung. Die Stadt Ingolstadt kündigte wenige Stunden später schärfere Kontrollen an.
Das Thema Corona wird uns noch einige Zeit beschäftigen. Angela Merkel hat es am Ende ihrer Rede auf den Punkt gebracht: „Wir müssen, auch wenn wir so etwas noch nie erlebt haben, zeigen, dass wir herzlich und vernünftig handeln und so Leben retten. Es kommt ohne Ausnahme auf jeden Einzelnen und damit auf uns alle an.“