Der Gang vor die Hunde

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Der Gang vor die Hunde

Mirja Biel, Oberspielleiterin am Stadttheater Ingolstadt | Fotos: Sebastian Birkl

Mirja Biel bringt in der aktuellen Spielzeit Erich Kästners Roman „Fabian“ auf die Bühne des Ingolstädter Stadttheaters. Kaum ein Stück scheint in der angespannten weltpolitischen Lage so aktuell wie dieses.

Erich Kästners Roman „Fabian“ spielt in einer Zeit der politischen Radikalisierung. Die Parallelen zur heutigen Zeit drängen sich auf. War das ein Grund, warum Sie sich dafür entschieden haben, Fabian auf die Bühne zu bringen?
Ich denke Theater eigentlich immer aus dem Heute heraus. Ich suche nach Stoffen, die mit der heutigen Zeit korrespondieren. Für mich ist die Bühne grundsätzlich ein demokratischer Raum, in dem gesellschaftliche Themen verhandelt werden. Es geht darum, Empathie zu entwickeln und im besten Fall ein gemeinsames, sinnstiftendes Erlebnis zu schaffen. Durch das Erzählen von Geschichten können wir verschiedene Perspektiven einnehmen.

Die Auswahl des Stücks hatte etwa 1,5 Jahre Vorlauf. Schon damals war die Atmosphäre angespannt. Das hat sich weiter zugespitzt. Mir war es ein Anliegen, mich mit dieser sich polarisierenden Gesellschaft auseinanderzusetzen. Fabian ist dafür eine hervorragende Vorlage, weil sich einige Aspekte der 1920er Jahre mit der heutigen Zeit vergleichen lassen – wenn auch nicht alle. Damals gab es eine extrem hohe Arbeitslosigkeit und prekäre Verhältnisse. Heute erleben wir eher die Angst vor einem drohenden Verlust. Die weltpolitische Lage ist unruhig, Kriege rücken näher. In den 20er Jahren trugen viele Menschen noch die Traumata des Ersten Weltkriegs mit sich, was sicher eine andere Dimension hatte. Gleichzeitig war es eine Zeit der gesellschaftlichen Emanzipation: neue Rechte für Frauen, ein offener gelebtes queeres Leben. Das hat damals eine konservative Gegenreaktion hervorgerufen. Das beobachte ich heute ähnlich.

Ich kann mir das nur damit erklären, dass Menschen in einer zunehmend unübersichtlichen Welt nach Sicherheit suchen

Diese Gegenreaktion ist heutzutage gut am CSD zu beobachten. Da kommt das Argument „Die können ja gerne schwul sein, aber auf der Straße will ich nichts davon sehen.“
Das ist eine Tendenz, die mich total beschäftigt. Ich bin mit dem Selbstverständnis aufgewachsen, dass mir alle Türen offenstehen. Und in dem klaren Gefühl: Es braucht zwar Zeit, aber die Gesellschaft wird trotzdem immer offener. Doch in den letzten Jahren beobachte ich einen konservativen Backroll. Dass traditionelle Rollenbilder wieder eine stärkere Rolle spielen, erstaunt mich. Ich kann mir das nur damit erklären, dass Menschen in einer zunehmend unübersichtlichen Welt nach Sicherheit suchen und versuchen, eine Ordnung herzustellen, die ihnen Halt gibt. Eine Suche nach handhabbaren Leitplanken.

Welche Rolle kann das Theater heute spielen, wenn es um die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen oder politischen Krisen geht?
Theater kann einen wichtigen Beitrag leisten – sowohl auf als auch jenseits der Bühne. Theater ist für die Stadtgesellschaft gedacht. Ich verstehe Theater als Diskussionsbühne, auf der wir empathisch durch das Erzählen von Geschichten verschiedene Perspektiven einnehmen und Dinge besser nachvollziehen können. Es geht nicht nur um intellektuelle Auseinandersetzung, sondern auch um emotionales Erleben durch die Figuren.

Inwiefern wollten Sie dem Original treuen bleiben, wo haben Sie sich bewusst Freiheiten gelassen?
Ich habe mir viele Freiheiten genommen. Ein Roman lässt sich nicht eins zu eins auf die Bühne bringen. Ich habe mich an den Grundpfeilern der Geschichte orientiert, aber überlegt, wie sich die Sprache und die Welt von Fabian auf der Bühne darstellen lassen. Kästner beschreibt die Realität von 1931 eher wenig. Gleichzeitig gibt es sehr harte Stellen, in denen die Lebensverhältnisse deutlich werden. Fabian selbst hat einen Schutzmechanismus entwickelt, indem er die Probleme mit ironischer, fast sarkastischer Distanz fernhält. Er bleibt zurückhaltend, während sein Freund politisch sehr aktiv ist. Und dann gibt es Cornelia, mit der Fabian eine kurze Liebesgeschichte erlebt. Diese Elemente habe ich beibehalten, aber die Geschichte für die Bühne verdichtet.

Fast die ganze Gesellschaft flüchtet sich in Zerstreuung.
Wir haben in den 1920ern den berühmten „Tanz auf dem Vulkan“ – eine Gesellschaft, die mit Vergnügungen vor der Realität flüchtet. Dahinter die drohende Weltwirtschaftskrise. Man tanzte Charleston in den Metropolen und trank Champagner. Das ist natürlich ein total verkürztes Bild der „Golden Twentys“, denn daneben herrschte bittere Armut.

Sehen Sie in diesem Flüchten vor der Realität eine Parallele zur aktuellen Zeit? Oder ist die heutige Gesellschaft eine politischere, eine aufmerksamere?
Das ist unterschiedlich. In Großstädten gibt es sicherlich weiterhin die Möglichkeit, sich der Realität zu entziehen und sich das Wochenende um die Ohren zu schlagen. Ich nehme es aktuell eher so wahr, dass viele Menschen besorgt sind und nicht wissen, wohin sich die Gesellschaft entwickelt – oder die weltpolitische Lage besorgniserregend finden.

Stichwort Weltpolitik. Zur Wahrheit gehört auch: Weite Teile der Welt bewerten die erneute Präsidentschaft von Donald Trump eher positiv.
De facto ist es so, dass viele Allianzen, die wir für selbstverständlich hielten, infrage gestellt werden – oder zerbrechen. Momentan ist das alle sehr unüberschaubar, weil wir nicht wissen, wohin sich das alles entwickeln wird. Diese Unsicherheit gab es auch 1931, als Kästner den Roman schrieb. Damals war nicht klar, dass kurz darauf der Zweite Weltkrieg ausbrechen würde.

Mirja Biel wurde in Kiel geboren. Nach ihrer Ausbildung zur Theatermalerin am Theater Lübeck studierte sie Neuere Deutsche Literatur, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft in Berlin und Theaterregie in Hamburg. Zuletzt war sie lange Jahre freie Regisseurin. Seit dieser Spielzeit ist sie Oberspielleiterin am Stadttheater Ingolstadt.

Fabian und sein Freund Labude sterben in Kästners Roman. Gibt es trotzdem Stellen im Stück, die Mut machen oder ist es ein in sich sehr deprimierendes Werk?
Beide sterben auf unterschiedliche Weise. Labude verglüht wie eine Motte im Licht. Er reibt sich auf und versucht im politischen Widerstand seinen Sinn zu finden. Seine Verlobung geht in die Brüche und er wird Opfer einer Intrige. Dann geht ihm die Kraft aus. Er beendet aktiv sein Leben. Bei Fabian ist es eher unsinnig, wie er zu Tode kommt. Er geht zurück aufs Land zu seinen Eltern. Einen Moment hat man das Gefühl, es könnte alles gut werden. Fabian stirbt bei dem Versuch, einen Jungen aus dem Fluss zu retten, weil er vor lauter Hilfsbereitschaft vergisst, dass er selbst nicht schwimmen kann. Kästner zeigt an diesen Figuren verschiedene Handlungsmöglichkeiten. Alle Protagonisten erfahren kein Happy End, wie die Zeit, aus der sie kommen. Der Roman selbst ist aber gar nicht so pessimistisch, er entlässt uns nicht mit einem pessimistischen Ton. Wir haben das Ende im Theater aber nochmal ganz anders gelöst.

Nämlich?
Kästner ist nach dem Zweiten Weltkrieg politischer Aktivist geworden. Er war bei Friedensbewegungen aktiv und protestierte auf der Straße. Er arbeitete in der politischen Bildung, hielt Vorträge für Schüler:innen. Es gibt viele große Reden von ihm, die er zur Verarbeitung des NS-Regimes gehalten hat. Eine sehr berührende ist die zur Bücherverbrennung vor dem PEN Club, anlässlich des 25. Jahrestages. Ich habe mich relativ früh entschieden, dass ich Kästner am Ende des Stücks selbst auftreten lassen möchte. Er sollte als Nachbetrachter dieser Zeitenwende nochmal sein eigenes Resümee ziehen. Die Rede ist wirklich brillant formuliert, und entbehrt nicht des feinen Humors, der all sein Schreiben ausmacht. Sie ist ein großes Plädoyer für die Verantwortung jedes Einzelnen.

Was soll das Publikum aus Ihrem Stück mitnehmen?
Ich würde mich freuen, wenn möglichst viele junge Zuschauer:innen kämen. Ich glaube, der Abend ist unterhaltsam, spannend, extrem musikalisch. Besonders die Rede von Kästner am Ende berührt mich persönlich sehr, ich habe da immer Tränen in den Augen.

Vielen Dank, Frau Biel.

Auszug aus Erich Kästners Rede zum 25. Jahrestag der Bücherverbrennung

Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muß den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat. Das ist die Lehre, das ist das Fazit dessen, was uns 1933 widerfuhr.

Auch Kästners Bücher wurden 1933 verbrannt. Der ursprüngliche – von den Verlegern abgelehnte – Titel von „Fabian. Die Geschichte eines Moralisten“ lautete: Der Gang vor die Hunde. Damit sollte nach Kästners eigener Aussage „schon auf dem Buchumschlag deutlich werden, dass der Roman ein bestimmtes Ziel verfolgte: Er wollte warnen“. | Foto Kästner: Basch

„Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ im Stadttheater Ingolstadt: 03./07./19./20. April 2025

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