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„Die letzte Bastion“

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"Die letzte Bastion"

Der Neuburger Dokumentar- und Reportagefotograf Jakob Stolz fotografierte ein
indigenes Volk im brasilianischen Regenwald. Dieses und weitere seiner Projekte
stellen wir hier vor.

THE GENUINE PEOPLE

Jedes Jahr treffen sich indigene Gruppen aus ganz Brasilien zu einem mehrtägigen Protestcamp. Für das 20. „Free Land Camp“ (22.-26.04.24) werden erneut tausende Menschen erwartet. Zentrales Thema: die Rechte der indigenen Völker und die formale Anerkennung und der Schutz ihrer Territorien. „Die indigenen und traditionellen Völker Brasiliens sind die wichtigsten Hüter des Regenwaldes“, erklärt der WWF.

Der Neuburger Dokumentar- und Reportagefotograf Jakob Stolz besuchte im April 2023 eines dieser indigenen Völker, die Huni Kuin (sein Fotoprojekt dazu heißt „The Genuine People“). Sie leben im brasilianischen Amazonas-Gebiet im Bundesstaat Acre, genau an der Grenze zwischen Peru und Brasilien. „Die Lebensräume indigener Gemeinschaften sind durch Klimawandel und Regenwaldabholzung massiv bedroht. Daher ist, wie überall auf der Welt, auch dort ein Umschwung zu spüren – man wehrt sich und kämpft. Sie sind die ersten Menschen, die die Katastrophen unmittelbar zu spüren bekommen und zugleich die letzte Bastion, die wir haben. Erst vor vier Wochen war in der Region ein massives Hochwasser – viele Dörfer standen unter Wasser, es kamen keine Lebensmittel an, kein Trinkwasser, keine Nahrung. Das ist natürlich existenziell für die Menschen vor Ort.“

Wie kam Jakob Stolz dazu, die Huni Kuin im brasilianischen Regenwald fotografieren zu dürfen? „Auf einem Geburtstag habe ich Jaci Meinhold kennengelernt. Sie arbeitet für eine kleine NGO namens Living Gaia in Berlin, die diesen indigenen Stamm unterstützt. Drei Monate später saß ich in einer einmotorigen Cessna über dem Amazonas.“ Der gemeinnützige Verein “Living Gaia” hat u.a. zum Ziel, Wissen und Weisheiten indigener Kulturen zu schützen. Ein Landkaufprojekt ist das bisher größte Projekt des Vereins.“ (living-gaia-conservation.org)

Die Stammessprache der Huni Kuin ist übrigens Hatxa kuin, die „Sprache der Wahrheit“. Viele der Jüngeren sprechen auch portugiesisch. Drei Wochen lebte Jakob Stolz dort, ohne fließend Wasser und Strom. „Die Zeit verläuft dort anders. Aber man spürt auch hier den Einfluss der westlichen Welt, der langsam bis in die letzten Winkel der Erde kriecht.“ Was hat Stolz bei seinem Besuch mit nach Hause genommen? „Wahrheit ist subjektiv. Der Mensch neigt dazu, schnell zu urteilen. Man meint als Außenstehender oft, Dinge besser zu wissen und Richtig von Falsch unterscheiden zu können. Was hier richtig zu sein scheint, mag dort falsch sein und umgekehrt.“

MEHR IMPRESSIONEN DER HUNI KUIN

ABOUT TO DIE

Vorweg: Ich verurteile den Tod des Stieres, sagt Jakob Stolz. „Man könnte diese Tradition weiterführen, ohne das Tier dabei zu töten und zu quälen.“

Es klingt paradox, doch „alle Toreros, die ich kennengelernt habe, sind extrem tierlieb!“, erklärt der Fotograf. „Chechu, der Torero, bei dem ich leben durfte, züchtet seine eigenen Bullen. Da steht man in der Küche auf seiner Finca und plötzlich stupst dich von hinten ein kleiner Jungbulle an. Da denkt man sich schon: Irgendwie passt das nicht zusammen.“

"Ich bin immer auf der Suche nach Themen, die nicht nur inhaltlich spannend sind, sondern auch visuell. Ein Mensch kämpft gegen ein Tier um Leben und Tod - das ist schon irgendwie absurd." 8 Tage verbrachte Jakob Stolz auf der Finca eines Stierkämpfers in der Nähe von Madrid, um sich - im wahrsten Sinne des Wortes - selbst ein Bild zu machen.

Der Stierkampf ist nicht nur bei Tierschützern extrem umstritten. „Das sind Traditionen und damit verbundene Werte, die versteht man erstmal nicht – und so richtig tue ich das bis heute nicht. Aber ich bin dort und mit dieser Tradition auch nicht aufgewachsen. Die Stimmen gegen den Stierkampf werden jedenfalls immer lauter. Ich denke (hoffe), dass es diese Tradition in 20 Jahren, so wie sie heute gelebt wird, nicht mehr geben wird.“ Stolz‘ Fotoprojekt trägt den Namen „about to die“. Als „dem Tode geweiht“ ist hier nicht der Stier zu verstehen, sondern die Tradition.

Andererseits hält Stolz es für wichtig, an Traditionen festzuhalten, aber „genau wie sich alles im Laufe der Zeit ändert, wird sich auch der Stierkampf verändern.“

WEITERE EINDRÜCKE

DER FOTOGRAF

Jakob Stolz (31) ist in Neuburg geboren und in Rennertshofen aufgewachsen. Aktuell lebt er in Berlin, besucht aber auch regelmäßig seine Heimat. Wie das oft ist bei talentierten Fotografen: Beruflich starteten sie erstmal mit etwas ganz anderem (bei Stolz war es eine Ausbildung zum Industriekaufmann). Aktuell arbeitet er an seiner Fine Art Serie “Essence” über Tänzer*innen sowie an einer Portraitreihe mit dem Namen “Interconnected”. „In beiden Serien porträtiere ich die Menschen, die hinter ihrer Fassade sichtbar werden sollen.“

SHORT (B)ROMANCE

Fernsehmoderator Markus Lanz lief Jakob Stolz auf dem OMR-Festival in Hamburg über den Weg. „Mein Job war es, die Speaker zu portraitieren und die Stimmung einzufangen. Da habe ich ihn mir geschnappt – wir sind den Hinterausgang raus und ich habe ihn zwischen zwei ‚Hamburg Süd‘-Containern gestellt. Nach zwei Minuten war unsere kurze Romanze vorbei – that’s it.“

BONNIE & CLYDE - WE ARE CRIMINALS

„Ich habe 5 Jahre in Hamburg gelebt und hatte das Glück, mit ziemlich kreativen Köpfen abzuhängen. Zwei Jungs von damals, Robin und Jules, sind mittlerweile weltweit als DJs (Gome Live) unterwegs. Einer meiner engsten Freunde (Felix Ebell, ursprünglich aus Neuburg) wohnt in Hamburg und produzierte ein Musikvideo für einen ihrer Songs (Get My Love). Also bin ich mit ans Set und habe fotografiert. Die Personen hinter Bonnie und Clyde sind Sonnhild Trujillo und Lukas Hoffmann – zwei junge Schauspieler aus Berlin.“ –  Jakob Stolz

DISPLACED

Als Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine angreift, lebt Valeriia Hereha in der Hauptstadt Kyjiw. Am 28. Februar flieht sie nach Deutschland, wohnt jetzt in Berlin. Hier trifft sie auf Jakob Stolz, der in Kreuzberg sein eigenes Studio hat und dort „Schauspieler*innen, Musiker*innen, Menschen aus dem öffentlichen Leben und Menschen, die etwas zu sagen haben“ fotografiert, wie er sagt. In der Ukraine arbeitete Valeriia als Balletttänzerin, Choreographin und Tanzlehrerin.

Wie stellt sich ihre berufliche Situation nach zwei Jahren in Berlin dar? „Derzeit bin ich an keine konkreten Projekte in Berlin gebunden. Obwohl ich offen für Möglichkeiten in der Stadt bin, suche ich aktiv nach Engagements und Kooperationen in ganz Europa. Beruflich ist es für mich eine dynamische Zeit und ich bin bestrebt, neue Horizonte zu erkunden und mich mit verschiedenen Künstlergemeinschaften zu vernetzen“, sagt die Tänzerin.

Valeriia, wie hat sich die Erfahrung der Flucht und des Neuanfangs in Deutschland auf deine Kunst und deine künstlerische Ausdrucksweise ausgewirkt?

Diese Erfahrung hat sowohl meine persönliche als auch meine künstlerische Reise tief beeinflusst. Es war eine Achterbahnfahrt der Gefühle, vom Gefühl der Verlorenheit und Hilflosigkeit bis hin zum Trost in der Unterstützung meiner Mitmenschen. Die Umstände zwangen mich, mich mit Fragen nach Identität, Bestimmung und Zugehörigkeit auseinanderzusetzen, die in meine Kunst eingedrungen sind. Das Gefühl der Vertreibung und die Last, neu anzufangen, sind zu wiederkehrenden Themen in meiner Arbeit geworden. Jede Bewegung trägt ein Echo meiner Reise in sich – ein Beweis für die Widerstandsfähigkeit, aber auch ein Spiegelbild des Schmerzes und der Unsicherheit, die mit einer solchen Erfahrung einhergehen. Es war gelinde gesagt ein schwieriger Prozess – ist es noch immer. Der ständige Zyklus von Bewerbungen und Ablehnungen kann zur Belastung werden. Trotz der Herausforderungen bleibe ich entschlossen, weiterzumachen. Auch wenn der Weg, der vor mir liegt, ungewiss sein mag, schöpfe ich Kraft aus der Überzeugung, dass jeder Rückschlag eine Chance für Wachstum und Selbstfindung ist.

Mehr von Jakob Stolz

Mehr: jakobstolz.com
Insta: @jakobstolzphoto

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