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Vom Headhunter zum Kulturreferenten

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Vom Headhunter zum Kulturreferenten​

Marc Grandmontagne ist seit 1. Juli 2024 neuer Ingolstädter Kultur- und Bildungsreferent | Fotos: Sebastian Birkl

Marc Grandmontagne kommt mit dem Rad. Ein Auto besitzt er nicht. Für sechs Jahre ist er als Kultur- und Bildungsreferent gewählt. Er ist im espresso-Interview offen, zieht aber auch klare Grenzen. Die Comicfigur Werner kann er genauso zitieren wie bekannte Soziologen.

Die ersten intensiven Termine und Feste hat er zum Zeitpunkt unseres Treffens am 01. August schon hinter sich. In Ingolstadt angekommen ist er da allerdings noch nicht so ganz. Frau und Kind stoßen Mitte August zu ihm. Erst dann wird die gemeinsame Wohnung bezogen. Zuletzt war Grandmontage für eine Beratungsfirma in Wien auf der Suche nach den klügsten Köpfen der Kulturbranche. Nächstes Kapitel: Ingolstadt.

Herr Grandmontagne, als „Kulturheadhunter“ in Ihrer vorherigen Position waren Sie wahrscheinlich recht frei in Ihrer Arbeitsgestaltung, jetzt erwartet Sie ein enges Korsett an allerlei Vorschriften. Hat Sie das bei Ihrer Bewerbung nicht ein bisschen abgeschreckt?
Ich war ja nicht mein ganzes Leben lang selbständig, sondern auch zuvor schon in Angestelltenverhältnissen mit sehr festen Strukturen tätig. Insofern kenne ich es, aber es ist natürlich schon ein großer Kontrast. Beide Betätigungsfelder haben ihre eigenen Gestaltungs- und Freiheitsräume. Die Selbständigkeit ist auch nicht so romantisch, wie das alle meinen. Hier hat mich gelockt, etwas in einer Stadt zu gestalten. Diese Möglichkeit gab es zuvor nicht.

Welche Ziele haben Sie sich selbst gesetzt?
Zuerst in die Themen und die Stadt reinkommen, die Bedarfe herausfinden und möglichst schnell lösen. Das MKKD – da gucken wir gerade drauf (das Interview fand in einem Café des Maritim Hotels statt, Anm.) – muss nicht nur fertig, sondern auch bespielt werden. Das ist eine unglaubliche Chance für diese Stadt, weil es das einzige richtige Haus für Konkrete Kunst in Deutschland ist. Ingolstadt verfügt hier über ein Alleinstellungsmerkmal und wir haben mit Theres Rohde eine Spezialistin für dieses Gebiet. Am Ende muss das Haus strahlen und diese Kunstform weiterbringen.

Wird aus dem Stadttheater ein Staatstheater? Als Fan der darstellenden Künste unterstützt Marc Grandmontagne den aktuellen Stadtratsantrag der SPD

Marc Grandmontagne (*1976) ist seit 01.07.24 Kultur- und Bildungsreferent in Ingolstadt. Er studierte an den Universitäten von Saarbrücken, Tübingen und Siena (Italien) Jura und Politikwissenschaften. Im Anschluss war er Lehrbeauftragter für Europapolitik an der Universität Duisburg-Essen und parlamentarischer Mitarbeiter des Europaabgeordneten Jürgen Schröder (EVP-ED/CDU). Danach leitete er das Büro der Geschäftsführung der Kulturhauptstadt RUHR.2010, war tätig bei der Stiftung Mercator in Essen, bei der RuhrFutur GmbH in Essen und Geschäftsführer der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. in Bonn. Von 2017 bis 2021 war er Geschäftsführender Direktor des Deutschen Bühnenvereins. In den vergangenen zwei Jahren war Grandmontagne selbstständig. Zum Großteil betreute er dabei im Auftrag der Firma KULTUREXPERTEN (mit Sitz in Essen) Personalauswahlverfahren für leitende Positionen in Theatern und Orchestern in Österreich und Deutschland. Für die KULTUREXPERTEN leitete er deren Dependance in Wien, wo er auch seinen Lebensmittelpunkt hatte. Eigene Projekte mit strategischem oder kommunikativem Schwerpunkt in Theatern oder bei Rechtsträgern von Theatern ergänzten seine Selbständigkeit.

Welche Baustellen gibt es hier sonst noch, außer der wirklichen Baustelle hinter uns?
Die Stadttheatersanierung, die seit vielen Jahren angedacht ist, muss vorbereitet werden. Das ist ziemlich komplex. In der Interimsspielstätte gibt es keine Lagerflächen, wir brauchen Werkstätten und eine Probebühne. Das Thema ‚Kulturbauten‘ ist ohnehin schwierig, man muss gut kommunizieren, planen und dort aus den Erfahrungen lernen, wo etwas schiefgelaufen ist. Ansonsten: Wir haben in Ingolstadt keine besonders gute Depotstruktur. Es gibt sehr verschiedene Standorte, zum Teil in historischen Teilen der Festung. Wir brauchen mancherorts eine neue Lösung, um die Archiv-Standards zu wahren. Dann natürlich die Themen Haushaltskonsolidierung und Kunstförderung. Im Bildungsbereich haben wir in der Betreuung nach wie vor die Dauerherausforderung der Räume und Kapazitäten. Wir haben eine Stadt, die stark gewachsen ist. Und was auch den Bildungsbereich betrifft: die vielen gesellschaftlichen Teile sind stark voneinander sozial segregiert. Das hat Auswirkungen auf die Bildungsteilhabe. Im nationalen Bildungsbericht steht laufend, dass die Bildungschancen auch von der sozialen Herkunft abhängen. Das sind alles Themen, denen man sich annehmen muss. Also genug Baustellen, würde ich sagen (lacht).

Die SPD hat einen Stadtratsantrag eingebracht, um aus dem Stadttheater ein Staatstheater zu machen. Wie stehen Sie diesem Vorschlag gegenüber?
Ich unterstütze den Antrag und finde ihn gut. Ob auf politischer Ebene Chancen bestehen, ist nicht ganz sicher. Einen Versuch ist es aber auf jeden Fall wert. Das hätte den Vorteil, dass die Landesförderung steigt. Regensburg wird ebenfalls bald zum Staatstheater. Ich finde, auch Ingolstadt wäre es wert.

Gabriel Engert war 30 Jahre Kulturreferent. Kann man irgendwann auch Ihre Handschrift erkennen?
Ich hoffe, dass man diese irgendwann erkennt. Einer der großen Verdienste von Gabriel Engert besteht ja darin, diesen ganzen Betreuungsbereich erkannt und in Angriff genommen zu haben. Jetzt, wo 2026 der Anspruch auf Ganztagesbetreuung besteht, steht Ingolstadt besser da als andere Städte. Natürlich hängt die eigene Handschrift auch immer ein bisschen von den Möglichkeiten ab: Geht die Politik mit, gibt es genügend Geld, trifft die Idee gerade auf die Zeit? Ich habe auch schon ein paar Ideen, die sage ich jetzt aber nicht (lacht). Solange ich nicht mit allen gesprochen habe, werde ich keine großen Ankündigungen machen. Es gibt genügend Baustellen, die erstmal weitergeführt werden. Und wir haben durch die Haushaltskonsolidierung natürlich auch eine herausfordernde Situation.

Marc Grandmontagne auf der Baustelle des MKKD

Kultur ist ja auch ein Standortfaktor. Denken Sie das Kulturangebot reicht für Ingolstadt?
Da müssten wir uns darüber verständigen, was „es reicht“ bedeutet. Man könnte sagen: das Theater hat 85% Auslastung, das reicht. Aber natürlich: Wenn Sie einen Kulturreferenten fragen, reicht es nie (lacht). In einigen Bereichen sind wir ganz gut aufgestellt. Mit dem Theater sind wir top, wir haben das wunderbare Georgische Kammerorchester und bald ein neues Museum. Aber wir haben natürlich auch eine freie Szene. Da kann, finde ich, noch mehr kommen. Sprich: Ingolstadt als Ort für Künstler und Kreative.

Für die großen Themen unserer Zeit – Klimawandel, Digitalisierung, Wandel der Arbeitswelt – braucht man auch Leute, die ein bisschen verrückt sind, die Ideen entwickeln, und die uns in der Verwaltung und Politik auch mal auf die Sprünge helfen, weil sie sagen: Ihr denkt zu sehr in alten Schablonen. In einen Austausch kommen, in eine andere Dynamik und dafür Strukturen zu setzen, da besteht noch gutes Potenzial. Dazu führe ich noch ein paar Gespräche.

Können Sie sich noch daran erinnern, was Ihr Interesse an Kunst und Kultur geweckt hat?
Ja, klar. Zu Schulzeiten wollte ich Musik studieren. Ich habe mal ganz gut Klavier gespielt und lange Kirchenmusik gemacht und gesungen. Das war mein Antrieb und hat mich immer in diesen Bereich hineingezogen – das Musikmachen, das Singen, aber auch das Erleben von Kunst.

Sie sind zum Zeitpunkt des Interviews seit etwa einem Monat in Ingolstadt. Worüber haben Sie sich seither hier geärgert? Worüber gefreut?
Geärgert habe ich mich über die hohen Wohnungspreise. Das macht es im Übrigen auch schwierig für freie Künstler. An den Preisen merkt man die stark wachsende Stadt. Außer bauen kann die Kommune aber nicht viel tun. Deutschland hat sich da in eine schwierige Situation gebracht. Ich war zuletzt in Wien, dort sind 80% der Wohnungsmasse dem freien Markt entzogen. Gefreut habe ich mich darüber, dass ich hier sehr freundlich empfangen worden bin. Ich habe sehr nette Kolleginnen und Kollegen. Auch Gabriel Engert hat sehr gut dafür gesorgt, dass der Übergang reibungslos funktioniert hat.

Bald kommt das Volksfest. Zeit für die erste Lederhose?
Ich habe bisher noch kein ureigenes Bedürfnis danach gespürt (lacht). Ich bin ja kein Bayer. Ich bin da aber offen, mal gucken. Vielleicht bajuwarisiere ich mich ja noch so weit, dass ich dann auch in Lederhose vor Ort bin.

Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind so groß, die sind nicht nur mit rationalen Mitteln zu lösen

Mich würde noch Ihr Blick auf die Kultur als Ganzes interessieren. Oder anders gesagt: Kultur scheint im politischen und gesellschaftlichen Spannungsfeld immer stärker unter Druck zu geraten.
Das ist natürlich ein Thema, das mir Sorge bereitet. Mein Antrieb in die Kultur zu gehen, ist maßgeblich davon gespeist, dass ich einmal von der Kunst wachgeküsst worden bin. Wenn man in Gustav Mahlers 2. Sinfonie sitzt und die Fassung verliert, zeigt das, dass Kunst etwas mit dir macht – als Mensch. Es hat eine unheimliche Kraft. Kunst hat auch immer etwas mit Perspektivwechsel zu tun. Ich habe mal einen Vortrag von Armin Nassehi gehört. Seine These: Kunst ist die Verdopplung der Welt. Als einfaches Beispiel: Sie sehen sich ein Kunstwerk an und darin ein Fenster. Sie sehen in dem Moment aber das, was sich der Maler als Fenster vorstellt. Sie sehen die Welt also mit den Augen eines anderen. Damit befinden wir uns automatisch im Bereich der Alternative. Und das hat viel mit Demokratie zu tun. Demokratie lebt davon, frei zu gestalten, indem ich Vorschläge mache, die Alternativen aufzeigen. Das Wort Alternativlosigkeit ist ein Demokratiekiller. Alternativlosigkeit gibt es in Diktaturen. Eine Demokratie lebt von Alternativen.

Die künstlerischen Räume, die provozierend sein können, die einen aufregen können, die einen berühren können, die langweilig, verstörend oder irritierend sein können, sind wichtig als Energie, damit wir auf die Welt gucken – und immer wieder neu auf sie gucken. Kunst hält andere Zugänge bereit, macht mich offener und zeigt mir neue Perspektiven. Das brauche ich als Kind, als Jugendlicher, um mich zu spüren, um mich erfahren zu können. Das brauche ich natürlich auch als Erwachsener. Ich kann mich gewissermaßen als Mensch noch einmal neu erfahren. Das ist bis heute die Energiequelle, die mich dazu treibt, für diese Räume zu streiten. Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind so groß, die sind nicht nur mit rationalen Mitteln zu lösen und schon gar nicht nur mit der Art von Denken, die wir kennen. Wir brauchen Störung, wir brauchen Irritation, wir brauchen konstruktive Verunsicherung.

Man hat manchmal den Eindruck, viele haben gar nicht das Interesse, sich auf eine alternative Sicht einzulassen.
Was es natürlich schon braucht, ist Offenheit und Neugier. Ich glaube, das Grundproblem von Kunst ist, dass sie als elitär verschrien ist. Die Dimension, die ich beschrieben habe, wird von vielen nicht gesehen, weil sie nie erfahren wurde. Die Bedeutung der Kunst zu kommunizieren ist eine Aufgabe, der wir in den letzten Jahren nicht ausreichend nachgekommen sind. Das geht auch nur begrenzt verbal. Was wir brauchen, sind Strukturen, damit Menschen diese Erfahrungen selbst machen können. Es gibt viele Formate, Kunst konsumieren zu können, aber es geht auch darum, dass die Menschen selbst aktiv werden. Über Schulprojekte können wir dafür sorgen, dass Kinder flächendeckend damit in Berührung kommen. Diesen Weg zu gehen – und allen diesen Weg zu ermöglichen – ist Aufgabe der kulturellen Bildung.

Herr Grandmontagne, vielen Dank für das Gespräch.

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