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Wo bitte geht's ins Auenland?
Zwei Freunde auf Abenteuertour in der Hallertau. Was Michael Urban und Tobias Rossmann in ihren 45 Abenteuern erlebt haben und wie daraus ein eigenes Buch entstand, erzählen sie im espresso-Interview.
Kennen Sie die Geschichte „Oh, wie schön ist Panama“? Zwei Freunde, der Kleine Tiger und der Kleine Bär, machen sich darin auf die Reise zu einem Ort, wo alles besser, größer und schöner als zuhause sein soll. Nun, da niemand so recht weiß, wo Panama eigentlich ist, laufen die beiden im Kreis und kommen nach einiger Zeit wieder zuhause an. Das Haus ist mittlerweile verwittert, also erkennen es der Kleine Tiger und der Kleine Bär nicht wieder. Sie lassen sich nieder und sind glücklich, endlich im Land ihrer Träume angekommen zu sein.
Sie erahnen die Kernaussage des Buches vermutlich schon. Der Kinderbuchautor Janosch brachte es auf den Punkt: „Jeder lebte schon immer im Paradies, hat es nur nicht gewusst.“ Eine weitere Kernaussage des Buches: „Wenn man einen Freund hat, … braucht man sich vor nichts zu fürchten.“
Was aber hat diese Geschichte mit den beiden Wolnzachern Michael Urban und Tobias Rossmann zu tun? Nun, die beiden Freunde waren in ihrer Heimat ebenfalls auf Abenteuerreise. Das Ergebnis: Abenteuer Hallertau – Micro Adventures im Hopfenland, ein 216-seitiges Buch mit wundervollen Bildern und einer Art Tagebuch darüber, was die beiden in den zurückliegenden 12 Monaten erlebt haben. Das Buch ist nicht nur eine Liebeserklärung an ihr Zuhause, sondern auch als Weckruf zu verstehen. Darüber, dass man nicht an weit entfernte Orte reisen muss, um ein richtiges Abenteuer zu erleben – und dabei auch nicht Unmengen an CO2 ausstoßen muss. Also begeben sich Mike und Tobi auf die Suche nach dem Glück vor ihrer eigenen Haustür.
Sie wandern vom niedrigsten zum höchsten Punkt der Hallertau, verbringen „1 Jahr“ in einem Baum, entdecken Flora & Fauna ganz neu, köcheln ein Waldpilz-Couscous-Risotto in ihrer Outdoor-Küche und und und..
Vielleicht haben Sie sich gefragt, was es mit dem Auenland aus der Überschrift auf sich hat? Ganz einfach: die Hallertau gleicht an so manchem Ort der fabelhaften Welt aus Herr der Ringe. Auf einigen Seiten im Buch halten die Autoren das fest. Im Auenland leben die Hobbits – und ob Sie’s glauben oder nicht: Mike und Tobi haben in der Hallertau tatsächlich ein echtes Hobbit-Haus entdeckt…
Was sind Micro Adventures?
Geprägt wurde der Begriff vom britischen Abenteurer und Schriftsteller Alastair Humphreys. Definiert wird der Begriff als Outdoor-Erlebnis vor der eigenen Haustür, eben ein kleines Abenteuer, das jeder in seinen Alltag integrieren kann. In einem Interview im GEO-Magazin sagte Humphreys: „Meine Definition eines Mikroabenteuers ist genau was der Name suggeriert. Es handelt sich um ein richtiges Abenteuer, eben nur nicht ein großangelegtes. Ein lokales, kostengünstiges, simples, kurzes Abenteuer. Ich persönlich halte es für wichtig auch eine Nacht draußen zu schlafen, anstatt nur einen Tagestrip in die Natur zu unternehmen, aber das sei jedem selbst überlassen.“
45 Abenteuer in 12 Monaten liegen hinter euch. Was gab ursprünglich den Impuls für dieses Unterfangen?
Mike: Tobi und ich hatten gemeinsam für hallertau.de Fotoreportagen zu den schönsten Spaziergängen in der Hallertau gemacht. Darüber habe ich LOWA kennengelernt, außerdem ist der Battenberg-Gietl-Verlag auf das Format aufmerksam geworden. Die haben mich dann gefragt, ob ich nicht einen Wanderführer für die Hallertau machen wollen würde – das hat sich aber nie ergeben. Mit LOWA habe ich 2020 mein erstes Micro Adventure gemacht und habe das Abenteuerformat dann mit Tobi und dem Verlag besprochen. Jeder war on fire und so sind wir bei der Buchidee gelandet. Gottseidank, denn den Wanderführer hat in der Zwischenzeit schon jemand anders gemacht. (lacht)
FABELHAFTE TIERWELT
Gab es ein spezielles Abenteuer, ein Erlebnis oder auch einen ganz bestimmten Moment, der dabei besonders für dich herausstach?
Mike: Wow… da gab es viele Momente. Wir haben schon selber philosophiert, wie wir diese Frage für uns beantworten würden. Am euphorischsten waren wir überraschenderweise nach dem Naturkunstabenteuer à la Goldsworthy – das war Nervenkitzel pur, über 400 Buchenblätter gegen den Wind und die herannähernde Dämmerung zu einem vergänglichen „Kunstwerk“ zu formieren.
Richtig Willensstärke gekostet haben die Abenteuer, bei denen wir so zehn, elf Stunden oder länger unterwegs waren, wegen der Fotografie und Recherche dauerten unsere Abenteuer ja immer einige Stunden länger als normal. So zum Beispiel die Expedition vom niedrigsten zum höchsten Punkt, da sind wir am zauberhaften Donaudurchbruch gestartet und in stockfinsterer Nacht an einem stacheldrahtumzäunten, einsamen Funkturm im Wald angekommen und haben uns gefreut wie zwei verwahrloste Pilger, die endlich ans Ende ihrer Reise gekommen waren.
Richtig geflasht waren wir von zehn Meter hohen Binnendünen im Wald oder einem kleinen Moor samt Schwefelquelle. Wir hatten gar nicht gewusst, dass es die hier gibt. Oder fleischfressende Pflanzen, wilde Orchideen, Kammfarn, Eisvögel (zum ersten Mal in meinem Leben live gesehen), alte Weiden über der Alten Laber, auf denen man schlafen kann … Alles kleine Wunder der Natur. Wusstest du, dass der artenreichste Lebensraum in Mitteleuropa die Wacholderheide ist, von der wir auch welche in der Hallertau haben?
Apropos: den schönsten Hopfengarten haben wir im Schambachtal in der Nähe des Altmühltals gefunden. Ein ganz kleiner Hopfengarten, umgeben von steilen Waldhängen, um den sich der Bach schlängelt. Schon fast surreal. Und die Menschen, die so offen und hilfsbereit waren. Ein Vorwort von Christo Förster und ein Zitat von Alastair Humphreys zu bekommen, das war schon der absolute Hammer! Einmal hat uns jemand mit dem Traktor mitgenommen, als wir spät dran waren. Classic Hallertau.
Ein anderes Mal hat uns eine Gaststätte Getränke geschenkt, als uns das Trinken ausgegangen ist. Oder wir haben einen alten, urigen Hof gefunden, auf dem wir ein Pferd kennenlernen und mit dem Sulky fahren durften. Aber es gab auch unheimliche Momente, Essen machen bei absoluter Dunkelheit, Nebel und Regen. Und dann weiter mit einem ausgefallenen Licht mit dem Rad durch den Wald. Man möchte nur noch zurück, raus, entdecken, seine Grenzen finden, die Natur spüren, sich auflösen.
Was verbindet dich mit der Hallertau?
Tobi: Die Nähe zur Natur. Das Alte, „Dahaude“, Wilde, Verlassene, das es hier noch gibt. Die Gegend ist noch ein bisschen aus der Zeit gefallen. Man muss und kann hier kreativ werden, wenn man etwas erleben will.
Viele fühlen sich im Alltagstrott gefangen, haben das Gefühl sich im „Hamsterrad“ zu befinden. Dennoch weichen wir selten von unseren Gewohnheiten ab. Wo liegen die Hürden deiner Meinung nach, dass wir nicht öfter ausbrechen?
Mike: Ausreden. „Berechtigte und unberechtigte“, wie Alastair Humphreys so schön sagt. Und unsere Gewohnheiten sind halt immer mehr an Convenience-Güter und die digitale Welt gekoppelt, wir versinken in einer Konsumer-Mentalität, anstatt selbst proaktiv und konstruktiv zu werden, etwas aufzuopfern, uns zu befreien von Dingen, die wir gar nicht brauchen.
Ihr habt die Hallertau vermutlich wie kaum jemand vor euch in ihrer Ganzheit erlebt. Wie hat sich dein Blick auf die Hallertau dabei verändert?
Mike: Das war auch recht bald unser Ziel in der Konzeptionsphase. Unser Blick hat sich vielleicht gar nicht so geändert, sondern eher verstärkt. Und unsere Vision von einem Naturerlebnisgut in der Hallertau (siehe Gut Herbigshagen der Heinz-Sielmann-Stiftung) weiter gefestigt. Es würde sich geographisch, ökologisch, biologisch und pädagogisch absolut lohnen, so etwas hier aufzubauen und einen Pflock gegen den Flächenfraß und das Artensterben einzuschlagen. Wenn nichts passiert, werden uns die umliegenden Metropolregionen in den nächsten Jahrzehnten schlucken. Falls du also jemand kennst, der dieselbe Vision und ca. 100 Hektar Land dafür hat, lass es uns wissen.
Du meinst den Moment, wenn du völlig entkräftet und verzweifelt auf die Uhr schaust, feststellst, dass du mit dem Rad 30 min für nur zwei Kilometer gebraucht hast, du den Sonnenuntergang am Zielort nie mehr erleben wirst und ein paar Minuten später fluchend und wie ein manischer Teufel lachend gegen den nächsten Hügel anradelst?
Euer Buch ist auch eine Art Liebeserklärung an eure Heimat. Gab es auch weniger schöne Erlebnisse während eurer Abenteuer?
Mike: Du meinst den Moment, wenn du völlig entkräftet und verzweifelt auf die Uhr schaust, feststellst, dass du mit dem Rad 30 min für nur zwei Kilometer gebraucht hast, du den Sonnenuntergang am Zielort nie mehr erleben wirst und ein paar Minuten später fluchend und wie ein manischer Teufel lachend gegen den nächsten Hügel anradelst? Oder wenn das Trinken ausgeht, aber noch vier bis fünf Stunden Tour vor dir liegen? Der Weg im Wald einfach aufhört, obwohl laut Karte einer da sein sollte? Das kochende Wasser vom Kocher fällt, es nur zwei Grad hat und wir nur noch eine Ration Wasser haben? Oder ich mir beim Klimmzug in fünf Meter Höhe dermaßen einen Muskel zerre, dass ich fünf Wochen ausfalle? Oder kurz vor dem Erreichen unseres Ziels der Akku der Kamera verreckt? Oder wir feststellen, dass es zehn Meter vom Zeltplatz dermaßen nach Aas stinkt, dass alles aus ist? Ich denke, man kann die Frage mit einem „ja“ beantworten. (grinst)
Tobi: Wobei einem immer sehr bewusst war, dass man im Nachgang darüber lachen wird. Nie zum Lachen waren für mich Momente, wo ich spürte, dass die Hallertau durch Verbauung ihren Charakter zunehmend verliert.
Ärgerlich, wie begriffsstutzig, arrogant und fahrlässig der Homo Sapiens oft ist. Und doch so vielversprechend
Auch wenn ihr viel in der Natur unterwegs wart, habt ihr euch dabei nicht wie die sprichwörtliche Axt im Walde verhalten. Worauf sollte man bei Micro Abenteuern achten?
Mike: Das steht ziemlich ausführlich in unserem Guide. Im Grunde ist es aber einfach: Man stelle sich einfach mal vor, man selbst und alle anderen Menschen wären Teil der Natur und verhielten sich auch entsprechend. Eigentlich gar nicht schwierig, oder? Oder? Ärgerlich, wie begriffsstutzig, arrogant und fahrlässig der Homo Sapiens oft ist. Und doch so vielversprechend.
Bitte vervollständige den Satz: „Für das perfekte Micro Abenteuer brauche ich…
Tobi: …nur einen ruhigen Moment, um Inspiration und den Schneid zu finden, etwas zu probieren, das eine gewisse Ungewissheit und Herausforderung mit sich bringt.“ Der Rest kommt von alleine, zum Beispiel Gleichgesinnte, mit denen man dann einzigartige Erlebnisse teilen kann.
Letzter Gedanke für unsere Leser*innen?
Mike: You ready?
Mike, Tobi, vielen Dank für das Interview.
ABENTEUER HALLERTAU
MICHAEL URBAN studierte an der Universität Regensburg Englisch, Philosophie, Bühne/Film/Medien und Mündliche Kommunikation. Schon während des Studiums begann er, Erfahrung im Coaching-Bereich (A-Trainer Basketball) zu sammeln. Es folgten Ausbildungen zum Systemischen Berater, Stärkentrainer und New-Work-Coach. Von 2018 bis 2021 war er Projektmanager und Redakteur für das regionale Online-Magazin hallertau.de, seitdem ist er als Marken- und Organisationsentwickler tätig. Einige Fernwanderungen am Grünen Band und die ersten Micro Adventures mit LOWA führten 2020 zu Projekten als Abenteurer, Autor und Fotograf – und neuen Ausdrucksformen für seine Liebe zur Natur.
Michael kommt ursprünglich aus Haslach im Landkreis Freising und lebt jetzt in Wolnzach.
TOBIAS ROSSMANN kann sich nicht immer entscheiden, ob er Artenschützer, Fotograf, Naturgärtner oder Autor ist. Im Winter 2020 unternahm er eine 100 Kilometer lange Protestwanderung, die auf den Flächenfraß in der Hallertau aufmerksam machte. In seinen Publikationen hat er unter anderem Themen wie die Alpen, Nairobis Slums und den Naturschutz aufgegriffen. Ironischerweise hat es noch keine seiner Publikationen in die von ihm mitgegründete Bücherei geschafft, die er zusammen mit seiner Ehefrau und Freunden in Kibera (Kenia) für hilfsbedürftige Kinder betreibt.
Tobias lebt in Gosseltshausen, ein Ortsteil von Wolnzach.
Mehr: www.tobias-rossmann.de
Fotos, falls nicht anders angegeben: Michael Urban, Tobias Rossmann
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