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„Es ist viel frischer Wind in der Stadt und das steht ihr"
Taktraumfestival, Café Tagtraum, xhoch4, Schmierage: Daniel Lange – Künstlername malun – hat gewaltige Spuren in der Ingolstädter Alternativ-Szene hinterlassen. Im Interview spricht er über seinen Werdegang vom kleinen rebellischen Sprayer, der 1997 aus dem Osten nach Ingolstadt kam, zum kaum weniger rebellischen Künstler, der die Welt ein kleines Stück besser machen möchte.
Daniel, es gibt wohl kaum jemanden, der die Subkultur in Ingolstadt so stark geprägt hat wie du. Dabei ist Ingolstadt gar nicht deine Heimatstadt. Was hat dich damals zu uns geführt?
Man hat mir einmal gesagt: Heimat ist da, wo man die Socken wäscht. Und meine wasche ich schon ein ganzes Stück lang in der Schanz.
Nach meiner Ausbildung zum Bürokaufmann bin ich 1997 relativ spontan nach Ingolstadt gezogen. Meine Schwester hatte hier eine Anstellung an der Uni-Bibliothek und ich habe ein ziemlich intensives Verhältnis zu ihr. Am Anfang war ich mir auch unsicher, ob das etwas wird mit mir und Bayern. Aber es war halt dann doch die große Liebe.
Wie hast du Ingolstadt anfangs wahrgenommen und wie haben sich Stadt, Mentalität und die Leute hier von deiner damaligen Heimat unterschieden? Oder anders gefragt: War Ingolstadt ein Kulturschock für dich?
Der Osten war zu der Zeit richtig wild und im Aufbruch. Zumindest was die Subkultur und den Hip Hop anging. In meiner Geburtsstadt Gera gab es zu der Zeit an die 150 Sprüher und in Ingolstadt gab es eben nur 20 Leute, die etwas gemacht haben. Das ist schon ein Riesenunterschied von der Dynamik. Aber ich bin direkt an die Richtigen geraten, die ich glücklicherweise bis heute noch meine besten Freunde nennen kann. Im Großen und Ganzen gab es damals in den neuen Bundesländern mehr Energie. Mein Gefühl war, dass die Leute in Ingolstadt eher so eine „In München ist alles besser. Hier ist alles scheiße. Kackdorf“ Mentalität haben. Mich hat das aber eher gereizt.
Welches Bild hast du mittlerweile nach all den Jahren als echter Schanzer von Ingolstadt?
Ingolstadt hat eine tolle Szene. Nach sieben Jahren in Berlin habe ich einen totalen Blick von außen bekommen und der hat einen sehr positiven Eindruck hinterlassen. Es ist viel frischer neuer Wind in der Stadt und das steht ihr. Man merkt auch, dass die Politik ein wenig frischen Schub bekommen hat und in Zukunft mehr subkulturelle Projekte unterstützen wird.
Was waren damals deine ersten Berührungen mit der Kunst- und Kulturszene in Ingolstadt?
Das kann ich sehr klar beantworten. Das war meine erste Veranstaltung: Ein Hip Hop Jam in der Fronte 79. Das müsste im September 1997 gewesen sein. Das war auch der Startschuss zu etwas Großem. Ab dem Punkt habe ich diese Sessions regelmäßig veranstaltet. So ein Hip Hop Jam ist quasi: die Schmierage, ein Breakdance Battle und ein Konzert in einem. Zu der Zeit damals war das extrem wichtig, da so einerseits die lokale Szene zueinander gefunden hat und man sich andererseits europaweit verknüpft hat. Immerhin waren da Acts wie Jan Delay, Denyo und Deichkind dabei.
„Am Anfang war ich mir auch unsicher, ob das mit Bayern und mir etwas wird. Aber es war halt dann doch die große Liebe“
War dir von Anfang an klar, dass du der Jugend- und Subkultur in Ingolstadt neue Impulse geben möchtest oder hat sich das alles zufällig im Laufe der Jahre ergeben?
So etwas hat man natürlich anfangs gar nicht auf dem Schirm. Die ganzen Veranstaltungen haben wir gemacht, um der Szene ein Zuhause zu geben. Das macht man einfach, weil man es fühlt.
Dein erster Streich war die Gründung des Designkollektivs xhoch4 im Jahr 2003, das im Laufe der Jahre viele Auszeichnungen gewonnen hat und heute noch in München existiert. Wie kam es dazu und wie hast du diese Zeit in Erinnerung?
Nachdem ich 2002 aufgehört habe, Konzerte oder ähnliches zu veranstalten, hat mir natürlich etwas gefehlt. In der ganzen Zeit habe ich ja hauptberuflich irgendwelche Jobs gemacht, teilweise auch um schlecht gelaufene Veranstaltungen rezufinanzieren. Und irgendwie war da auch dieses Bauchgefühl, vielleicht ein Projekt zu machen, wovon ich leben kann. Das war dann 2003 der Fall. Wir, Boris Schmelter, Rene Arbeithuber und ich hatten die Idee, von unserer Malerei und Grafik zu leben. So haben wir beim Ingolstädter Bürgerfest 2003 einen leerstehenden Laden renoviert und unsere erste Ausstellung gemacht. xhoch4 war geboren. Die nachfolgenden Jahre waren eine richtig gute Zeit. Was wir da alles erleben durften: sensationell. Es war auch schön mit anzusehen, wie sich die Wahrnehmung in Sachen Subkultur veränderte. Es wurden immer mehr Besucher bei den Ausstellungen, Kunden, die in unseren Grafiksachverstand vertraut haben und Kulturprojekte. Das Atelier in der Garage hat man gegen eine Industrie-Etage in der Innenstadt mit eigener Galerie getauscht. Das sagt doch eigentlich alles.
2009 hast du als Wirt das Café Tagtraum am Paradeplatz übernommen und ihm den charakteristischen Look verliehen, für den es heute bekannt ist. Warum damals der Wechsel in die Gastronomie?
2008 sind wir mit xhoch4 auf die Idee gekommen, uns zu erweitern und unseren Hauptsitz nach München zu verlegen. Das war für mich, nach einem Jahr Pendeln, dann irgendwie das Zeichen, wieder etwas Neues zu wagen. Für mich war absolut klar, dass ich in Ingolstadt bleiben möchte und zufällig haben Freunde von mir ihr Caféprojekt abgegeben. Das Tagtraum gab es ja schon vor mir. Nur hatte ich, durch mein kulturelles Treiben, natürlich einen anderen Fokus. Ich wollte einen Ort schaffen, wo sich der Punk – ok, sowas ist in Ingolstadt selten – und der Banker begegnen. Ein Ort, der etwas ausstrahlt und dich auf eine Reise mitnimmt. Von dem Tag an war das meine kulturelle Basis.
2012 hast du das Taktraumfestival ins Leben gerufen, das seitdem jedes Jahr stattfindet. Welche Rolle spielte und spielt die Musik in deinem Leben?
Da ich auch als Dj aktiv bin, natürlich eine große. Musik ist für mich ein tägliches Kraftelixier. Bei mir läuft eigentlich ständig Musik, zwar sehr an den Ort und Stimmung angepasst, aber es läuft Musik. Musikalisch bin ich auch sehr breit aufgestellt. Jazz, Soul Hip Hop, Techno. Eigentlich unterscheide ich nur, ob es mir gefällt oder nicht. Ganz genrefrei.
Du hast einige Zeit lang in Berlin gelebt, bist aber vor kurzem wieder nach Ingolstadt zurückgekehrt. Was hast du in Berlin gemacht und was hat dich zurück in deine Wahlheimat gebracht?
Nachdem ich beschlossen habe, mal wieder frischen Wind zu atmen und gut in Berlin angekommen bin, habe ich dort direkt wieder die richtigen Leute getroffen. Ich habe dort in einem sehr tollen Grafikbüro, das ich noch aus meiner xhoch4-Zeit kannte, angeheuert und ein paar Jahre als Projektmanager gearbeitet. Dort hatte ich die Möglichkeit, auf sehr hohem Niveau an Projekten beteiligt zu sein und viel über temporäre Architektur zu lernen. Nachdem ich aber auch hier keine Zeit und keinen Raum hatte, meiner Malerei mehr Aufmerksamkeit zu schenken, musste ich leider auch hier Lebewohl sagen. Dann kam ein Angebot zu Freunden aufs Land zu ziehen. Zurück nach Bayern. Und dort lebe ich heute, auf dem schönen Gradhof in Kösching.
„Meine innere Mission ist es tatsächlich, die Welt ein kleines Stück besser zu machen“
Wie sieht dein Alltag dort heute aus?
Ich glaube, das Wichtigste an meinem Alltag ist, früh aufzustehen und mit einer Tasse Kaffee die Morgenluft auf dem Hof zu spüren. Danach Mailcheck und je nachdem, welches Projekt ansteht, geht’s ins Atelier, auf den Weg zu einem Termin oder ich helfe auf dem Hof. Mein Leben ist eigentlich immer in Bewegung. Da wir nur ein Leben haben, sollten wir versuchen, es mit Dingen zu verbringen, die uns Spaß machen.
Hast du deinen Tatendrang mittlerweile ausgelebt oder hättest du noch ein paar Optimierungsansätze für die Ingolstädter Kunst- und Kulturszene?
Meine innere Mission ist es tatsächlich, die Welt ein kleines Stück besser zu machen. Sei es mit meiner Kunst, der Musik oder mit Projekten, an denen ich beteiligt bin. In den letzten Jahren hat Ingolstadt eine so wichtige und tolle Entwicklung durchgemacht. Ich sehe lauter neue Projekte, Interessengemeinschaften und Start-ups, die sich Mühe geben, die Stadt lebenswerter zu machen. Das hat sich definitiv zu damals geändert. Ich hab das Glück, heutzutage Möglichkeiten zu bekommen, an Projekten mitzuarbeiten, anstatt alles von Null auf zu planen. Kürzlich erst hat mich das Kulturamt eingeladen, drei Konzerte zu kuratieren und damit bin ich mal wieder in den Genuss gekommen, ein wenig Kultur zu zeigen. Auch wird nächstes Jahr das ein oder andere Projekt kommen, an dem ich beteiligt bin. Das überlasse ich aber anderen, die bekannt zu geben.
Welche kulturellen Orte in Ingolstadt findest du aktuell besonders spannend?
Aktuelle kulturelle Highlights sind natürlich das Kap94 und die Kulturoasis, und für den Nachwuchs die Kunst- und Kulturbastei sowie die Fronte 79 und die neun. Ich finde es super, dass dort die Möglichkeiten angeboten werden, sich früh künstlerisch zu erproben.
Wenn du auf dein Schaffen und die Spuren, die du in Ingolstadt hinterlassen hast, zurückblickst, worauf bist du am meisten stolz?
Das ist natürlich schwer zu beantworten. Sehr mochte ich die xhoch4-Zeit, ich bin aber auch happy, dass ich damals den Schritt zum Taktraumfestival gemacht habe. Egal, wie das für mich ausging damals. Heutzutage weiß man, wie wichtig das für die Stadt war.
Du hast damals mit dem ersten Taktraumfestival Schulden gemacht, musstest das Café Tagtraum verkaufen und Privatinsolvenz anmelden. Woher nimmst du den Mut, Dinge einfach auszuprobieren und mit den möglichen Konsequenzen zu leben?
Wenn man Projekte beginnt, hat man natürlich nicht vor Augen, dass sie schief gehen können. Ich dachte damals wirklich, dass das funktionieren wird. Das Line-up war sensationell. Ich finde, wenn man von etwas überzeugt ist, sollte man diesen Weg auch gehen. Das ist ja in meiner Malerei nicht anders. Wenn ich etwas erschaffe, was mir später nicht gefällt, übermale ich es einfach wieder. Trial and Error.
Wie viel Rebell steckt heute noch in dir?
Eine ganze Menge, das wird man so schnell nicht los. Aber natürlich hinterfragt man heute Sachen ein wenig mehr.
Jeder Künstler hat einen bestimmten Grund, der ihn antreibt, immer weiter Kunst zu machen. Was hält deinen Motor am Laufen?
Wenn man Kunst macht, lebt man auch mit der dauernden Fragestellung „Warum eigentlich?“. Kunst sollte man ja nicht aus dem Aspekt heraus machen, Millionen zu scheffeln. Sondern der Welt etwas mitzugeben. Das macht das Leben natürlich ein wenig komplizierter, als wenn man einen 9 to 5 Job mit einem gesichertem Einkommen hat. Gerade die Krise hat gezeigt, wie wichtig und systemrelevant die Kultur doch ist.
Welche Wünsche, Pläne und beruflichen Ambitionen hast du für die Zukunft?
Ich hoffe, dass ich nach wie vor meiner Kunst viel Raum schenken kann und neue Impulse im kulturellen Treiben der Stadt beitragen werde. Aktuell prüfen wir gerade ein neues Projekt auf Machbarkeit. Wenn wir das realisieren können, wäre das sensationell für die Stadt.
Darauf sind wir schon gespannt. Daniel, vielen Dank für das Interview.
Mehr Informationen zu Daniel Langes Malerei gibt es auf:
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