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Ordnung ist das ganze Leben
Lena Niedens hilft Menschen, die Ordnung in ihr Leben bekommen wollen. Sie ist
Aufräum-Coachin. Im espresso-Interview spricht sie über ihre Erlebnisse, gibt einige nützliche Tipps für den Alltag und verrät, warum ein aufgeräumtes Zuhause so wichtig für das innere Wohlbefinden ist.
Lena, wie bist du auf die Idee gekommen, Aufräum-Coachin zu werden?
Das Thema Ordnung hat in meinem Leben schon immer eine Rolle gespielt, in meinem Elternhaus wurde großer Wert darauf gelegt. Allerdings war das Thema für mich lange Zeit mit dem Druck verbunden, den Erwartungen anderer genügen zu wollen – das typische „Was werden die anderen sagen“. Die Geburt meines zweiten Kindes hat mich dann zum Umdenken gebracht. Wegen des schwierigen Immobilienmarkts hier in der Region habe ich nach neuen Ideen gesucht, wie wir den Wohnraum, den wir zur Verfügung haben, an die neuen Gegebenheiten anpassen können. Ich habe mir das Magic-Cleaning-Buch von Mari Kondo zugelegt, nachdem eine Freundin zu mir gesagt hatte „Das könntest du auch machen, das bist voll du“ und das hat den Stein ins Rollen gebracht.
Wenn man hört, dass du Coachin fürs Aufräumen bist, stellt man sich dein Zuhause sofort blitzblank poliert und nach Farben sortiert vor. Lebst du selbst in der perfekten Ordnung?
Es gibt nicht „die perfekte Ordnung“, Ordnung ist sehr subjektiv. Wir bekommen dieses Bild von den sozialen Medien vermittelt und wir wissen alle, dass das nicht der Realität entspricht. Mein Ziel ist es eben nicht, eine instagram-taugliche Ordnung herzustellen, sondern eine funktionale Ordnung, die uns im Alltag unterstützt und entlastet und keine Ordnung, die uns unter Druck setzt.
Was war dein größter Erfolg als Coachin?
Schwer zu sagen, wahrscheinlich der Einsatz bei meiner eigenen Oma. Da war ich echt baff, weil ich nicht damit gerechnet hatte, dass sie überhaupt ohne weiteres mitmachen würde. Letzten Endes habe ich ihre Wohnung mit über 20 Kilo Kleidung verlassen.
Gab es auch schon mal hoffnungslose Fälle?
Es melden sich meistens wirklich nur die Menschen für eine Ordnungsberatung an, die auch für eine Veränderung bereit sind. Wenn nicht, dann gibt es da viel tiefgründigere Probleme, die kein Personal-Organizer lösen kann, sondern viel mehr ein Psychotherapeut. Ich hatte einen Anruf von einem Kunden, der seiner Mutter einen Gutschein für eine Ordnungsberatung schenken wollte, weil sie in seinen Augen mit dem Haushalt überfordert war. In dem Fall habe ich klipp und klar gesagt, dass ich das für keine gute Idee halte, wenn die Mutter überhaupt keinen Handlungsbedarf bei sich sieht. Die Zusammenarbeit sollte auf gegenseitigem Vertrauen basieren, denn unterm Strich lässt man eine fremde Person ins Haus. Man muss bereit für diesen Schritt sein.
Was sind die typischen Gründe dafür, dass man es nicht schafft, Ordnung zu halten, obwohl der Wille eigentlich da ist?
Wir besitzen meisten einfach viel zu viele Sachen. Dabei werden vom gesamten Besitz nur 20 % der Gegenstände auch regelmäßig benutzt. Je weniger wir besitzen, desto einfacher ist es Ordnung zu halten.
Welche Vorteile hat es, auch für unser Innenleben, wenn wir in unserem Leben Ordnung schaffen?
Unser Gehirn muss täglich Unmengen an Informationen verarbeiten, vor allem in der heutigen medialen Welt. Auch die Unordnung um uns herum muss von unserem Gehirn, wenn auch nur unbewusst, aber doch verarbeitet werden. Das kostet Energie und verstärkt die innere Unruhe. Daneben gibt es ganz klar den praktischen Vorteil, dass ich nicht lange nach Sachen suchen muss, dass ich gleich weiß, wo was liegt, was wohin gehört. Dadurch kann ich ganz einfach den Stresspegel reduzieren.
Wo machen die Menschen deiner Erfahrung nach die größten Fehler in puncto Ordnung und wie kann man sie am leichtesten beheben?
Ordnung zu machen, ohne ausgemistet zu haben. Das ist ein Kampf gegen Windmühlen. Denn geordneter Kram ist immer noch Kram. Viele denken sich, sie bräuchten nur noch einen Schrank, noch ein zusätzliches Regal, noch ein paar zusätzliche Aufbewahrungsboxen und dann wäre das Chaos besiegt. So einfach ist das aber nicht. Ordnung muss geplant sein.
Angenommen, ich habe die Entscheidung gefasst, mehr Ordnung in mein Leben zu bringen. Wo sollte ich am besten beginnen?
Mein Tipp ist es, zuallererst das eigene Konsumverhalten zu reflektieren und ein Konsum-Detox zu machen. Für 6 bis 8 Wochen ganz bewusst nur das Nötigste kaufen. Und ganz bewusst alles wahrnehmen, was ins Haus kommt (wenn man beispielsweise etwas von Freunden oder Familie angeboten bekommt). Dann bekommt man auch ein viel besseres Gefühl dafür, was man wirklich braucht. Und während dieser Zeit kann man sich dann auch schon peu à peu von einigen Sachen trennen.
Viele Menschen schaffen es nicht, Dinge wegzuwerfen, weil sie Erinnerungen mit ihnen verbinden. Wie schafft man es, sich von alten Sachen zu trennen, die einen sentimentalen Wert haben?
Das muss man nicht unbedingt. Wir definieren uns teilweise durch unseren Besitz. Und unsere Erinnerungen und Erfahrungen können wir eben nur durch bestimmte Erinnerungsstücke wortwörtlich greifbar machen. Alles andere scheint uns zu flüchtig zu sein und das macht uns Angst, uns selbst zu verlieren. Es muss uns erstens bewusst werden, dass durch Verlust bestimmter Gegenstände, mit denen Emotionen verbunden sind, wir trotzdem wir bleiben und unsere Identität sich dadurch nicht ändert. Unsere Erinnerungen bleiben uns erhalten. Zweitens dürfen wir nicht vergessen, dass mit der Zeit unsere Gefühle, die mit einem Gegenstand verbunden sind, sich durchaus ändern können. Also sollten wir in regelmäßigen Abständen diese Emotionen überprüfen. Fühle ich immer noch gleich, ist es mir immer noch wichtig oder kann ich es ziehen lassen? Und drittens hilft auch noch die Überlegung, dass bestimmte Erinnerungsstücke ihre Daseinsberechtigung nur wegen meiner Emotionen haben. Sprich, wenn ich mal nicht mehr bin, ist es durchaus möglich, dass diese Sachen sofort auf dem Müll landen. Die Uhr meines Großvaters ist mir wichtig, es ist mir aber auch bewusst, dass meine Kinder diese Emotionen nicht teilen müssen.
Hast du selbst Guilty Pleasures, Dinge, von denen du dich nicht trennen kannst, obwohl es keinen rationalen Grund dafür gibt?
Korken (lacht). Weinkorken, Champagnerkorken. Ich liebe die Struktur, wie sie sich anfühlen und die Überlegung, man könnte noch so viele tolle Sachen daraus machen – noch nie irgendwas damit gemacht. Und dann steht auch ganz oben auf meiner To-Do-Liste, all die analogen Fotos neu zu organisieren.
Auf deinem Instagram-Account sprichst du häufig das Thema Kapsel-Garderobe an. Was genau steckt hinter dem Begriff und wie kann man sich selbst eine Kapsel-Garderobe einrichten?
Statistisch gesehen werden etwa 80% des Kleiderschranks kaum bis gar nicht getragen. Hinter der Idee einer Kapsel-Garderobe steckt die Überlegung, dass man mit wenigen Kleidungsstücken eine größtmögliche Anzahl an Kombinationsmöglichkeiten hat. Theoretisch könnte man dann alle Teile miteinander kombinieren, wie ein Legobausatz, bei dem alles miteinander kompatibel ist. Die Größe dieses Bausatzes ist sehr individuell. Doch am besten fängt man mit einer Mini-Kapsel an, die aus einem Paar Schuhen, einem Unterteil, 2-3 Oberteilen, einer Oberbekleidung, einer Tasche und einem Accessoire nach Belieben besteht. Das Layering nicht vergessen, und so hat man rein rechnerisch unglaubliche 13 Kombinationsmöglichkeiten. Würde man nur ein zusätzliches Unterteil dazunehmen, würden sich diese Zahl gleich verdoppeln.
Hilfst du den Menschen auch dabei, Ordnung im Digitalen, also auf der Festplatte, im Mailfach und auf deren Social-Media-Kanälen zu halten?
Bis jetzt hatte ich noch keine Anfrage diesbezüglich. Doch auch hier kann man die gleichen Ordnungsprinzipien anwenden wie in der analogen Welt. Erstens Überblick verschaffen. Zeitliches Limit für die Aufräumaktion setzen, zum Beispiel 30 Minuten. Dann kommt das Ausmisten, man überlegt, welche Mails, Dateien, Fotos man wirklich behalten möchte oder sollte. Währenddessen macht man sich Gedanken, wie man die digtiale Aufbewahrung gliedern möchte. Und bei sozialen Kanälen gilt auch die Prämisse „Behalte, nur das, was du wirklich brauchst, was dich glücklich macht“.
Und zu guter letzt: Wie bringt man seinen Kindern am besten und nachhaltigsten bei, Ordnung zu halten? Müssen Kinder überhaupt schon einen Sinn für Ordnung haben?
Wenn man sich etwas intensiver mit den Fragen der Kindererziehung auseinandersetzt, stellt man fest, dass man den Kindern gar nichts „beibringen“ kann, man muss es nur vorleben. Meistens sind die Kinder von der Menge an Spielsachen und sonstigen Gegenständen im Kinderzimmer einfach überfordert. Wir als Elternteil können erstens dafür sorgen, dass das Kinderzimmer überschaubar ist. Dann können wir klar definieren, was wohin gehört und dabei mit Beschriftungen oder Bildern arbeiten, sodass die Kinder ihrem Alter entsprechend bestimmte Sachen selbst erledigen können. Das regelmäßige Ausmisten ist dabei wichtig, doch an dieser Stelle sollte man eines nicht vergessen: „Der Krimskrams des einen ist der Schatz des anderen“, um einmal Petterson und Findus zu zitieren. Vor allem die kleinen Kinder empfinden den eigenen Besitzt als Fortsetzung des eigenen Selbst, des eigen Körpers. Deswegen teilen die Kleinkinder ungerne mit den anderen. Bei den Teenies müssen wir in erster Linie selbst lernen, die persönlichen Grenzen des jungen Menschen zu erkennen und zu akzeptieren. Das frühere Kinderzimmer ist ein „fremdes Territorium“ für mich. Wenn ich versuche, dort meine Vorstellung von Ordnung auf Biegen und Brechen durchzusetzen, sind Konfliktsituationen vorprogrammiert. Und so kann es durchaus sein, dass die Jugendlichen mit herumliegenden Sachen einfach versuchen ihre „Duftmarken“ zu setzten, ihr Revier zu verteidigen und sich gegen die „alte Ordnung“ aufzulehnen.
Lena, vielen Dank für diese interessanten Einblicke und die wertvollen Tipps.
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