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Radikal anders
Younee, Komponistin und Singer-Songwriterin aus Südkorea, begeistert ihr Publikum regelmäßig mit ihrem einmaligen und virtuosen Klavierspiel. Im November spielt sie im Rahmen der Ingolstädter Jazztage auf der Schanz. Geboren und aufgewachsen in Seoul, kurzer Zwischenstopp in London, fand Younee schließlich ihre Heimat in der Nähe von Ansbach. Pulsierendes Großstadtflair vs. beschauliches Bayern: wie wirkt sich das auf ihre Musik aus? Warum musste sie einmal ein Konzert einhändig spielen? Was hat es mit ihrem Improvisationstalent auf sich? espresso bittet zum Interview!
Younee, als Sie 2008 nach London zogen, war Ihre musikalische Karriere in Südkorea schon weit fortgeschritten. Sie waren Professorin für Musik an der Hochschule für Kultur und Kunst in Seoul, schrieben Popsongs für andere koreanische Künstler, den sehr erfolgreichen Titelsong einer Fernsehserie und veröffentlichten Ihr Debütalbum. Fiel Ihnen der Schritt nach Europa schwer? Was gab den Ausschlag dafür?
Obwohl ich in Korea sehr erfolgreich als Musikerin gearbeitet habe, war ich immer auf der Suche nach „meinem“ ganz persönlichen Musikstil. Ich wurde in der Klassik ausgebildet und diese Musik, sowie auch Pop Songs, die ich damals geschrieben habe, sind natürlich auch ein Teil von mir. Trotzdem wollte ich herausfinden, wie meine authentische Musik wirklich klingt.
Um die Antwort für diese Frage zu finden, bin ich auf musikalische Reise gegangen. In der Zeit, in der mich diese tiefgründigen Frage sehr beschäftigt hat, habe ich glücklicherweise viele großartige Musiker aus England kennengelernt, habe in England ein Jazz-Pop Crossover Album veröffentlicht und bin auf Tournee gegangen.
So konnte ich meine musikalischen Horizont stetig erweitern und neue Dinge kennen lernen. In Europa fühlte ich mich durch die Musik immer tief mit den Menschen verbunden und empfand eine große Freiheit sowie Freude beim kreativen Prozess. Die Neugierde auf meine eigene musikalische Reise und die Freude, in der Musik Freiheit zu finden größer war als mein Heimweh und die Angst vor der neuen Welt. Und hier konnte ich meinen eigenen Stil kreieren: „Free Classic & Jazz“.
Erst Seoul, dann London, im Jahr 2010 schließlich der Umzug in die Nähe von Ansbach. Von zwei Millionenmetropolen in ein beschauliches bayerisches Städtchen: stellt das die eigene Art zu leben nicht radikal auf den Kopf? Wie sind Sie damit umgegangen?
Ja, das ist eine radikale Wende. Aber es wirkt sich für mich sehr positiv aus. Ich bin in Seoul aufgewachsen und war dort immer von vielen Leuten, vielen Hochhäusern, viel Verkehr und viel Werbung umgeben. Jetzt wohne ich in einer kleinen Stadt in Franken und habe einen anderen Lebensstil. Hier sehe ich viel Natur, den Horizont, kann jeden Tag Vogelgezwitscher hören – so fühle ich mich sehr friedlich und kann mich gut auf meine Musik konzentrieren.
Und wenn ich mich ein bisschen einsam fühle und ich Zeit mit meiner Familie und meinen koreanischen Freunden verbringen will, dann fliege ich einfach nach Korea und nehme so die Energie aus meiner Heimatstadt in mich auf. Ich sehe in beiden Lebensstilen positive Aspekte und nehme diese für mich mit.
Denken Sie, dass sich durch Ihren Umzug auch Ihre Musik radikal geändert hat? Anders gefragt: Denken Sie, dass Sie in einer pulsierenden Millionenstadt die gleiche Musik schreiben, wie in einer ländlichen bayerischen Gegend? Oder spielt das keine Rolle, weil die Musik Ihrem innersten Selbst entspringt – völlig unabhängig von der Umgebung?
Einerseits hat die Umgebung meine Musik beeinflusst und andererseits aber auch nicht. Als ich in Seoul lebte, traf ich viele verschiedene Leute, somit war der Einfluss von außen definitiv größer. Aber jetzt lebe ich in einer kleineren ländlichen Gegend und die ruhige Natur gibt mir eine andere kreative Energie sowie einen freien musikalische Kopf.
Seitdem ich in Europa lebe, habe ich das Gefühl, dass ich in der Musik alles ausprobieren kann und ich spüre viel Freude dank dieser Freiheit. Es gibt mir mehr Mut, etwas Neues auszuprobieren und hilft mir, authentischer zu sein. Ich glaube, das liegt vor allem an den Menschen, nicht nur an der Stadt oder an dem Land, in dem ich wohne. Europäer sind offener für etwas Neues: sie schätzen es immer, wenn Künstler, selbst Newcomer, etwas Neues ausprobieren. Das hat mich sehr beeindruckt.
Wenn es allerdings um eine Auftragsarbeit geht, wenn ich z.B einen Klavierwalzer für eine Szene einer deutschen Fernsehserie schreibe, dann ist es egal, an welchem Ort ich mich während der Arbeit daran aufhalte. Er hat keinen Einfluss auf meine Musik.
Am 7. November darf sich Ingolstadt auf Ihr Konzert im Rahmen der Jazztage freuen. Was erwartet die Zuhörer?
Sie können natürlich viele Titel meiner beiden Alben erwarten, z.B. Songs von meinem Debütalbum „Jugendstil“ mit berühmten klassischen Themen (wie z.B. Beethoven’s Schicksal Sinfonie), interpretiert in meinem eigenen Stil, sowie meine eigenen Kompositionen von meinem zweiten Album „My Piano“. Ich plane allerdings nicht alle Songs für ein Konzert, ich entscheide immer erst kurz vorher, was genau ich spielen möchte, je nachdem, wie ich mich an diesem Tag fühle.
Zudem entsteht ein großer Teil meines Konzerts spontan auf der Bühne, deswegen weiß ich oft selbst nicht, was alles an diesem Abend passieren wird. Ich mag es, mit den Zuschauern zusammen zu musizieren und meine Setlist zu vervollständigen. Ich freue mich daher immer, wenn sie mein Konzert mit offenem Herzen besuchen.
Vor allem die Live-Improvisation zeichnet Ihre Konzerte aus. Das Publikum ruft Ihnen Begriffe zu, die Sie dann spontan musikalisch umsetzen. Ist das ein fester Bestandteil Ihrer Konzerte? Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Dieser Art von Improvisation ist kein Muss. Aber ich frage in fast jedem Konzert das Publikum nach Ideen und improvisiere dann. Das alles hat auf einem Konzert meiner „Jugendstil“ Tournee in Deutschland angefangen, dass ich zum ersten Mal eine Echtzeit Komposition auf der Bühne gespielt habe: ich habe das Publikum um ein schönes Thema gebeten und dann einen Song daraus gemacht. Dem Publikum hat es gut gefallen und ich wurde auf weiteren Konzerten immer öfter darum gebeten. Manchmal änderte ich sogar meine gesamte Setlist und integrierte mehr freie Improvisationen. Am wichtigsten für mich ist, dass ich konsequent improvisiere, sodass die Leute meine Musik gut nachverfolgen können. Alle im Saal müssen das Thema immer fühlen können.
Es ist also immer wie ein Abenteuer. Das macht mir Spaß, diese besonderen Elemente zu verwenden und es ist der faszinierendste Moment des Konzerts für mich. Deswegen nehme ich jedes Konzert auf. Denn so verschwinden diese neu geborenen Stücke nicht sondern können sogar Teil meines neuen Albums werden.
Improvisieren mussten Sie auch, als Sie vergangenes Jahr wegen eingeklemmter Nerven eine Hand nur eingeschränkt bewegen konnten und daher manche Konzerte einhändig spielten – zumindest ist das im Internet zu finden. Ist diese Geschichte wahr und wie war die Erfahrung, ein Konzert einhändig zu spielen?
Ja. Das ist tatsächlich wahr! Dieses Video stammt vom PALATIA JAZZ Festival. Zu dieser Zeit litt ich an sehr starken Handschmerzen mit vielen Symptomen wie Tendinitis, Triggerfinger und Handgelenksschmerzen. An diesem Tag waren die Schmerzen an meinem rechten Handgelenk sehr stark. Ich hatte zuerst normal aber lockerer gespielt, hatte aber das Gefühl, dass der Schmerz nur stärker wurde. Daher spielte ich hauptsächlich nur mit der linken Hand und meine rechte Hand half manchmal etwas. Der Veranstaltungsort war eine alte Kirche, sodass ich die tolle Akustik zur Unterstützung nutzen und sanfter spielen konnte als sonst. Es war eine herausfordernde Situation für mich, die ich so noch nicht erlebt hatte, daher bin ich froh, dass ich meine Idee, spontan mit der linken Hand zu improvisieren, umsetzen konnte.
Später habe ich dann herausgefunden, dass ich nicht die Einzige war, die so etwas gemacht hat. Skrjabin komponierte auch linkshändige Stücke, abhängig von seinen Schmerzen in der rechten Hand. Nun geht es mir zum Glück wieder besser. Seitdem gehe ich auch viel bewusster mit meinen Händen um.
Musik beiseite, wofür schlägt Ihr Herz noch?
Interessant für mich ist immer alles, was kreativ, innovativ oder anders als das Bisherige ist. Kunst, Mode oder Tanzen sind zum Beispiel meine Lieblingsthemen. Aber auch Politik oder Philosophie, da man viel über verschiedene Sichtweisen erfährt. Meine Mutter ist ebenfalls sehr kreativ und hat viele Ideen zum Thema Mode und Stil. Ich habe zum Beispiel meine Bühnenkostüme zusammen mit meiner Mutter und einer koreanischen Designerin entworfen. Vom leeren Blatt, über die Ideensammlung bis zum fertigen Resultat: es ist der gleiche Prozess wie Musik komponieren. Das fand ich wirklich sehr spannend.
In der Süddeutschen Zeitung ist über Sie zu lesen, Sie hätten einen „Schuh-Fimmel“. Wie viele Schuhe besitzen Sie?
Ich habe nicht gezählt, wie viele ich tatsächlich besitze. Ich glaube, es ist jede Farbe und fast jeder Stil vertreten. All die Dinge, die ich trage – eben auch die Schuhe – können meine Stimmung inspirieren und beeinflussen und das gefällt mir. Wenn ich z.B. hohe Absätze trage, dann kann ich sozusagen eine ganz andere Luft einatmen. Oder wenn ich Sneakers trage, dann fühle ich mich sportlicher. Mein Großvater sagte immer: „Schuhe vervollständigen das Outfit und den Eindruck.“
Der Grund, warum ich so viele verschiedene Schuhe besitze ist gewiss nicht, um mit meinen Schuhen anzugeben, sondern dass ich damit ausdrücken möchte, was ich fühle.
Welchen Beruf hätten Sie, wenn Sie nie zur Musik gefunden hätten?
Schon als ich vier Jahre alt war, war mir klar, dass ich Musikerin sein möchte. Ich habe mir nie etwas anders vorgestellt. Es gab und gibt immer nur Musik für mich, deshalb ist diese Frage schwierig zu beantworten. Natürlich gab es auch andere Dinge, an denen ich als Kind interessiert war, z.B. Tanzen, Malen, Eiskunstlauf, Schreiben, Debattieren und so weiter. Wenn ich mich für einen anderen Job hätte entscheiden müssen, hätte ich vielleicht Tänzerin, Modedesignerin, Journalistin, Politikerin oder Malerin gewählt… Wer weiß!
Vielen Dank für das Gespräch.